Rezensionen

Rezension: Wendake

Euro at it's best

Noch jemand, der 2017 ein herausragendes „Eurogame“ vermisst hat? Klar es gab viele gute Spiele in der Kategorie: Nusfjord, Heaven & Ale, Riverboot, um mal ein paar zu nennen. Gute Spiele, aber herausragend wie Mombasa oder Great Western Trail? Für mich nicht. Die Hoffnungen lagen bis zuletzt auf dem wunderschönen Agra. Am Ende eine ziemliche Enttäuschung. Dann wurde mir Wendake empfohlen und gegen Ende des Jahres wusste ich, es gibt ein Spiel, das ich ohne Probleme als „Herausragend“ bezeichnen kann.

Der Hintergrund

Worum geht`s? Wir befinden uns in der Zeit zwischen 1756 und 1763 im Bereich der „Großen Seen“ im damaligen Amerika / Kanada. Zu der Zeit wütete dort der siebenjährige Krieg zwischen den Engländern und Franzosen. Die dort ansässigen Indianer, die Wyandot, nannten das Gebiet rund um den Ontariosee Wendake. Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Irokesen und vor allem Seuchen, übertragen von den Europäern, machten dem Indianervolk zu schaffen. Die Spieler übernehmen einen der dort ansässigen Indianerstämme und konkurrieren um Ressourcen wie von den Frauen der Indianer geernteten Kürbisse, Bohnen und Mais. Gleichzeitig gehen die Männer auf Biberjagd, wobei diese Biber später zu wertvollen Fellen verarbeitet werden. Friedlich läuft das ganze aber nicht ab, die Gebiete rund um die Seen sind heiß umkämpft und bieten Raum für Konflikte unter den verschiedenen Stämmen. Gleichzeitig wird Handel mit den Europäern getrieben. Neben Gütern gibt es dort aber auch Krankheiten kostenlos abzugeben, und zwar die Pocken. Zu guter Letzt werden von den Indianern traditionelle Maskenzeremonien abgehalten, um die Geister zu beschwichtigen.

Ein Potpourri an Mechaniken

Das Tableau am Anfang des Spiels, ohne verbesserte Plättchen.

Spielmechanisch bedeutet das ein Mix aus Worker-Placement, Area-Control, Set-Collection und ein wenig Wargame. Fangen wir mit dem Herzstück an, die Arbeiter einsetzen. Um beim Thema zu bleiben, es sind hier natürlich keine gewöhnlichen Arbeiter, sondern Stammesältere. Das Wort Innovation wird bei Brettpielen meist inflationär genutzt, in diesem Fall zeigt Wendake tatsächlich etwas neues. Jeder Spieler hat ein Tableau mit 3 x 3 Feldern vor sich liegen. Auf jedem Feld befindet sich ein Aktionsplättchen mit genretypischen Aktionen: Ernten, Fischen, Verarbeiten, Bewegen und mehr. Setzt man nun seinen ersten von drei Aktionssteinen, so muss man gemäß Tic-Tac-To Regeln, die weiteren Steine setzen. Das bedeutet, am Ende habe ich entweder eine vertikale, horizontale oder diagonale Linie von Aktionssteinen. Des Weiteren wird jedes Plättchen nach Gebrauch umgedreht. Auf der Rückseite von allen Plättchen befindet sich lediglich die Aktion „Ritual“. Dazu später mehr. Der eigentlich Clou kommt am Ende einer Runde: Die Spieler schieben die untersten drei Plättchen aus dem Tableau heraus, legen eins weg und suchen sich dafür ein verbessertes Plättchen aus der Auslage aus. Die Verbesserung liegt zumeist in der Möglichkeit, mehrere Aktionen mit einem Plättchen auszuführen. Der Spieler mischt nun diese drei Plättchen, zwei alte und ein neues, legt sie oben auf das Tableau in die frei gewordene Reihe und die nächste Runde kann beginnen. Dadurch entstehen immer andere Möglichkeiten aber natürlich auch Einschränkungen. Dieses Wechselspiel zu meistern, ist der Schlüssel zum Sieg.

Gleichschritt auf der Punkteleiste

Hier sind „Masken“ und „Wirtschaft“ zusammen an der Punkteleiste

Der Weg zum Sieg geht natürlich über Siegpunkte. Aber Wendake wäre nicht Wendake, wenn es nicht auch hier etwas besonderes zu bieten hätte. Insgesamt gibt es vier Bereiche, in denen man punkten kann: Wirtschaft, Ritual, Maskenzeremonie und Kampf. Jeder Bereich hat seine eigene Punkteleiste. Jedoch sind immer zwei Leisten miteinander verbunden. Welche, das entscheidet der Zufall beim Spielaufbau. Am Ende werden die Punkte pro Leistenpaar gezählt, und zwar bei jedem Paar die niedrigste (!) Leiste. Also muss ich versuchen die Leisten gleichmäßig zu steigern. Sich auf ein Ziel zu versteifen bringt nix! Die vier Siegpunktleisten werden mit verschiedenen Mechaniken gefüttert. Auf der Wirtschaftsleiste rücke ich voran wenn ich Handel betreibe und Waren gegen Punkte eintausche. Zudem bekomme ich Punkte, wenn ich ein Fortschrittsplättchen kaufen. Davon liegen je nach Spielerzahl eine gewissen Menge in der Auslage. Die Fortschrittsplättchen bieten permanente Verbesserungen im Spiel, wie zum Beispiel mehr Bewegung für die Krieger oder Ressourcenboni. Treibe ich Handel mit den Engländern oder Franzosen, kann ich Waren tauschen. Wunderbar thematisch: Bei jedem Handel muss ich eine Karte ziehen, um zu schauen, ob die weißen Männer mich mit Pocken infiziert haben. Wenn ja, muss ich eine Figur in das Jenseits befördern. Für den Bereich Kampf gilt ein simples Mehrheitenprinzip der Krieger in den Regionen auf dem Spielbrett. Wenn Krieger in ein Gebiet bewegt werden, muss sich der Spieler entscheiden, ob er als Wächter (kriegerische Einheit) oder als Vorposten auf einem Ressourcenfeld fungiert. Als Vorposten kann man ihn am Ende der Bewegung austauschen durch ein Arbeiterplättchen, was fortan für den Spieler Ressourcen generiert. Bei der Kampfaktion kann man sich zudem noch Schildkrötenplättchen nehmen, die am Ende Siegpunkte auf verschiedenen Leisten bringen. Die Voraussetzungen beim Nehmen resultieren aus einer bestimmte Anzahl Arbeiter oder Kanus auf dem Spielbrett. Kämpfen selber kann man nur mit der Bewegen-Aktion. Bewegt sich ein Krieger in ein Gebiet mit einem anderen Krieger kann er ihn angreifen. Beide Krieger werden verletzt und in das Heimatgebiet zurückversetzt. Natürlich kann ich auch die Arbeiter bei den Ressourcen angreifen, aber erst wenn kein gegnerischer Krieger mehr im Feld ist.

Spielbrett für zwei Spieler.

Als nächstes haben die Spieler die Möglichkeit, mit Ritualen Punkte zu sammeln. Immer wenn ich auf meinem Aktions-Tableau eine Aktion durchführe, wird das Plättchen herumgedreht. Auf der Rückseite befindet dann immer (!) ein Ritualsymbol. Führe ich diese Aktion aus, bekommen ich Punkte abhängig von der Anzahl der Arbeiter bzw. Krieger in meinem Heimatgebiet. Dieses Gebiet hat jeder Spieler und ist vom Gegner nicht einnehmbar. Zu guter Letzt gibt es im Spiel die Maskenzeremonie. Dabei sammele ich Karten mit Masken, um sie dann gegen Punkte einzutauschen.

In einer typischen Runde Wendake versuchen die Spieler natürlich das bestmögliche aus ihren drei Aktionen herauszuholen. So könnte man zum Beispiel mit der ersten Aktion seine Kanus erhöhen, dann mit der zweiten Aktion Fischen gehen (durch das zuvor gesetzte Kanu bekomme ich mehr Fische) und in der dritten Aktion mir mit den Ressourcen Fortschrittsplättchen kaufen. Natürlich sind solche Synergien nur möglich, wenn ich die entsprechenden Felder auf meinem Aktions-Tableau zur Verfügung habe. Die Züge werden im Laufe des Spiels durch die verbesserten Aktionsplättchen immer komplexer, mit bis zu drei Aktionen auf einem Plättchen. Insgesamt würde ich das Spiel knapp im Expertenbereich einordnen. Wendake spielt sich eigentlich recht flott für ein komplexes Spiel. Die Downtime ist sehr niedrig. Bei zwei Spielern habe ich mit Aufbau immer circa 90 Minuten gebraucht. Bei vier Spielern kann es auch mal über zwei Stunden dauern.

Material und Co

In der Schachtel befindet sich eine Menge Material. Alles hat eine gute Qualität und bietet kein Grund zur Kritik. Der Spielplan ist modular und wird je nach Spieleranzahl aufgebaut. Auch das ist ein großer Pluspunkt für dieses Spiel. Für mich hat das Spiel in allen Besetzungen super funktioniert, auch zu zweit! Die Anleitung ist dreisprachig und ehrlich gesagt etwas unübersichtlich aufgrund der Fotos, die merkwürdig angeordnet sind und nicht grade der Übersicht dienen. Na gut, man kann nicht alles haben. Sehr positiv in der Anleitung ist der dargestellte thematische Hintergrund und die Beschreibung der Freiheiten, die sich die Autoren genommen haben. Ich konnte die Kickstarter Version ergattern, die neben einem hübschen Pappschuber für die Box noch eine paar Fortschrittsplättchen mehr bietet. Nett, aber nicht essentiell. Es gibt auch einen echten Solomodus gegen einen „Geist“ Spieler. Solche Bots oder auch Automatas genannt, werden immer populärer bei Brettspielen. Die Zeit, einfach nur solo um Punkte zu spielen, ist erfreulicherweise wohl vorbei. Der Wendake „Geist“ macht dabei einen guten Job und sollte zumindest für ein paar Partien ausreichen.

Wendake ist mit Stand heute (Januar 2018) nur noch vereinzelt, zumeist aus dem europäischem Ausland, zu bekommen. Wann ein Reprint folgt ist aktuell noch unklar.

Fazit

Gunnar meint

Geheimtipp, wenn ich das immer höre. Meistens heiße Luft! Das hier ist ein Geheimtipp! Und was für einer! Mich hat das Spiel komplett weggeblasen. Es hat alles, was ich mir für so eine Art Spiel wünsche. Einen wunderbaren Aktionsmechnismus, der richtig Spaß macht! Außerdem darf ich kämpfen, Ressourcen ernten, Handeln, Masken sammeln und das alles in einem Spiel!. Das ganze funktioniert aber nur deshalb so brillant, weil mich das Spiel durch den gelungenen Siegpunktmechanismus zwingt, mich auch in allen verschiedenen Bereichen auszutoben. Natürlich ist es fast unmöglich, auf allen Leisten im Gleichschritt zu marschieren, aber ich muss es versuchen! Ein gaaanz großes Plus ist die Wiederspielbarkeit. Wie oben erwähnt werden die Siegpunktleistenpaare zufällig zusammengestellt. Dazu gibt es unzählige Fortschrittsplättchen, von denen nur ein zufälliger Teil im Spiel benötigt werden. Gleichzeitig sind auch die verbesserten Aktionsplättchen immer unterschiedlich ausgelegt. Natürlich bietet auch das Aktions-Tableau von sich aus jedesmal andere Kombinationen von Aktionen. Mehr Variablität geht fast gar nicht. Das Spiel ist zudem für ein Euro wunderbar thematisch. Die Aktionen machen Sinn und wirken nicht aufgesetzt. Wendake ist im Gegensatz zu vielen anderen Spielen dieser Art sehr interaktiv. Friedliches nebeneinander wie bei vielen anderen Euros ist hier nicht zielführend. Irgendwann begegnet man sich auf der Karte, so oder so.

Wenn, dann habe ich nur kleine Kritikpunkte: Einige wenige Fortschrittsplättchen sind meiner Meinung nach nicht ausbalanciert. Zudem kann einen der Zufall, zum Beispiel beim Kartenziehen oder beim Aufdecken der gemischten Aktionsplättchen etwas nerven. Aber das bleibt nicht aus.

Ich kann dieses Spiel nur jedem Eurogamer ans Herz legen. Greift zu solange es noch geht, ich hätte keine Lust zu warten. Wendake ist mein Spiel 2017!

 

Gunnar

Baujahr 76 mit Leidenschaft zu komplexen, thematischen, interaktiven Euros und Wirtschaftsspielen. Sehr gern auch im Bereich der historischen Konfliktsimulationen und 18xx unterwegs.

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2 Kommentare

  1. Volle Zustimmung! Ob ich Marco Polo als mein bisherigen all time favourite durch Wendake erstzen würde, weiß ich noch nicht. Dafür habe ich zu wenige Runde gespielt. Aber definitiv ist DAS Highlight des letzten Jahres. wer dieses Spiel nicht kauft und probiert ist selbst Schuld!

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