Ich kann Ihnen nichts vormachen, was Ihre Chancen angeht. Aber – Sie haben mein Mitgefühl. (Alien)
Setting
Nemesis ist ein semi-kooperatives Spiel, bei dem die Spieler in die Rolle eines Crew-Mitgliedes des Raumschiffes Nemesis schlüpfen. Das Raumschiff scheint jedoch von einer brutalen Alienart, den Xenos, überfallen zu werden und das Schiff erleidet durch ihre Angriffe vermehrt Fehlfunktionen. Oberstes Ziel eines jeden Spielers ist es, dass das von ihm gesteuerte Crew-Mitglied überlebt, doch konnten wir in unseren Runden bereits schnell feststellen, dass die vielen Gefahren an Bord die Erfüllung dieser Aufgabe erheblich erschweren. Aber gerade diese Herausforderung sowie die starke Atmosphäre und die thematischen Momente haben Nemesis für uns zu einem einzigartigen Erlebnis gemacht…
Als wir dieses Mal aus dem Kälteschlaf erwachten blieb uns keine Zeit zum Akklimatisieren oder Verschnaufen. Neben uns in einer der Schlafkapseln lag leblos einer unserer geschätzten Kameraden, er hatte den Kälteschlaf nicht überlebt. Der Anblick der offenen Wunde an seinem Bauch verriet uns, dass wir auf dem Schiff wohl nicht mehr allein sind… Doch wir haben eine Mission zu erfüllen, schnell versuchen wir uns zu erinnern, doch wie immer belastet der Kälteschlaf unser Gedächtnis am meisten. Uneinig über unsere Mission und verängstigt durch den grausamen Tod unseres Kameraden versuchen wir augenscheinlich gemeinsam als Crew das Schiff in Bewegung zu setzen und aus dieser Hölle zu entkommen… Doch können wir uns tatsächlich auf jedes Crew Mitglied verlassen?
Ziel des Spiels
Wir beginnen jede Partie als eines der unterschiedlichen Crew-Mitglieder der Nemesis, gerade erwacht aus dem Kälteschlaf starten wir alle im Kryonatorium in der Mitte des Schiffes. Ziel des Spiels ist es zu überleben und die eigene geheime Mission zu erfüllen. Hier geht es jedoch nicht um direkte Konfrontation, Nemesis lebt viel mehr von der Unsicherheit über die Vorhaben der anderen Spieler. Hilfreich ist, dass man zu Beginn zwei Ziele erhält und sich bis zum ersten Kontakt mit Aliens entscheiden kann, welcher der beiden Missionen man für diese Partie nachgeht.
Unterschiedliche Missionen
Augenscheinlich arbeiten wohl alle zusammen, überleben müssen ja schließlich alle, doch die Ziele können ganz unterschiedlicher Natur sein, weisen aber auch manchmal gewisse Ähnlichkeiten auf und unterscheiden sich z.B. nur durch ein unterschiedliches Reiseziel. Aber kein Problem, im Cockpit einfach schnell die Koordinaten verstellt, und schon geht es statt zur Erde zum Mars, und mit Glück auch noch ohne, dass ein anderen Crew-Mitglied Verdacht schöpft.
Überleben
Um zu überleben müssen wir von der Nemesis entkommen, entweder indem wir das Schiff erfolgreich zur Landung ansetzen oder uns mittels einer Rettungskapsel absetzen. Doch dass das Schiff auch starten kann ist es erforderlich, dass mindestens 2 der 3 Triebwerke intakt sind und auch das Reiseziel, welches im Cockpit immer wieder verstellt werden und auch dort eingesehen werden kann, muss mit dem eigenen Ziel übereinstimmen. Natürlich können die Spieler Reiseziel und Triebwerke aktiv beeinflussen, Triebwerke sogar reparieren oder auch zerstören, den Status eines Triebwerkes oder die Koordinaten des Flugziels sind jedoch immer verdeckt und können nur in dem jeweiligen Raum heimlich eingesehen werden. Hier bleibt einem manchmal nur übrig, den Aussagen der Mitspieler zu vertrauen, um nicht erneut über das gesamte Schiff laufen zu müssen. Da sich das Schiff nach einem Start aber in unaussprechlicher Geschwindigkeit bewegt, müssen wir uns zuvor natürlich noch in Kälteschlaf versetzen. Und als wäre das nicht genug, verfügt das Schiff auch noch über eine Selbstzerstörungssequenz, nach deren Einleitung wir wirklich unter Zugzwang geraten.
Spielablauf
Oder auch: Wer überlebt am längsten?
Während der Partie Nemesis bewegen wir uns alle unabhängig voneinander auf durch die einzelnen Räume und Gänge der Nemesis. Die meisten Räume liegen jedoch anfänglich verdeckt aus (wir haben ja von unserem Kälteschlaf eine Amnesie davon getragen). Wir müssen uns auf dem Schiff also erst einmal zurecht finden. Sobald ein Spieler einen Raum erstmalig betreten hat, wird er umgedreht und somit auch für die anderen Spieler ersichtlich. Dies sorgt natürlich für Abwechslung, da die Räume in jeder Partie Nemesis anders angeordnet sind.
Jeder Raum der Nemesis bietet eine unterschiedliche Aktionsmöglichkeit, so kann man sich in der Chirurgie beispielsweise von dem lästigen Larvenbefall heilen oder im Labor einen zuvor getöteten Alienkadaver untersuchen, um Schwachstellen der Xeno herauszufinden, die uns gegen die außerirdische Bedrohung sehr nützlich sein können. Die Räume des Schiffes sind modular und die Anzahl verschiedener Räume übersteigt die Anzahl der pro Spiel genutzten Räume, sodass auch nicht in jeder Partie die gleichen Räume vorzufinden sind.
Doch das Erkunden des Schiffes birgt auch Gefahren, denn jedes Mal, wenn man einen leeren Raum betritt, kann es sein, dass von einem Korridor oder einem Lüftungsschacht Geräusche hervordringen und sich nähernde Aliens zu vernehmen sind. Geräuschmarker werden per Zufall in den Korridoren des betretenen Raumes platziert, zu viele Geräusche aus derselben Richtung lassen es bereits thematisch vermuten – ein angriffslustiger Alien erscheint aus einem Gang oder gar aus dem Wartungskorridor.
Der Angriff eines Xeno kann schnell tödlich sein, die Biester halten überraschend viel aus und verteilen auch gerne schwere Wunden, die uns nachhaltig einschränken. Zu allem Übel wissen wir auch nie, wie viel sie tatsächlich einstecken können, denn die Lebenspunkte werden über ein Kartendeck bei jedem Angriff neu überprüft.
Zu unserer Hilfe gibt es überall auf dem Schiff nützliche Gegenstände und manche davon lassen sich sogar zu besonders nützlichen Hilfsmitteln verbinden. Hierfür dürfen wir fast alle Räume durchsuchen und können uns neben Waffen auch mit medizinischen oder technischen Hilfsmitteln eindecken. Besonders knapp scheint es an Munition, sodass wir auch gelegentlich nicht drumherum kommen, einen Alien mit den bloßen Fäusten entgegen zu treten oder uns einen Feuerlöscher als Fluchthilfe zunutze zu machen.
Als wäre die ständige und oft subtile Bedrohung durch die Aliens nicht schon genug, sehen wir uns regelmäßig mit Fehlfunktionen der Räume oder der in ihnen befindlichen Computer oder gar sich unkontrolliert ausbreitendem Feuer konfrontiert. Je mehr Defekte das Schiff aufweist, desto instabiler wird es. Bei mehr als 8 Fehlfunktions- oder Feuermarkern explodiert das Schiff (und das wäre dann eine weitere Art zu sterben…).
Begegnungen mit Aliens
Die Mechanismen bei Nemesis sind clever und gehen Hand in Hand mit dem Thema. Wenn ein Alien erscheint müssen wir einen Token aus einem Beutel ziehen, um zu bestimmen, welcher Alien uns das Leben schwer machen will. Der Beutel stellt alle Aliens im Raumschiff dar, erscheinen neue Aliens ziehen wir aus dem Beutel einen Marker heraus, um zu bestimmen, wem wir begegnen (das kann übrigens auch die Königin sein…). Doch der Inhalt des Beutels ist nicht starr und verändert sich im Laufe des Spiels, beispielsweise da sich kleine Larven zu größeren Bestien entwickeln und so mit fortschreitendem Spiel meist auch bedrohlichere Aliens im Beutel befinden.
Aktionen und Aktionskarten
Die Aktionen der Spieler bestehen einerseits aus Basisaktionen wie Bewegen oder Angreifen sowie aus Spezialaktionen, die durch ein klassenspezifisches Kartendeck zugänglich sind. Wir bezahlen unsere Aktionen, indem wir Karten aus der Hand dafür abwerfen. Das aus 10 Karten bestehende Aktionsdeck eines Spielers ist auf die Eigenheiten des Crew-Mitglieds angepasst und liefert so ganz spezielle Aktionen, die je nach Mission auch unterschiedlich nützlich sein können. Die Pilotin kann die Koordinaten des Schiffes auch von anderen Räumen als dem Cockpit überprüfen und der Wissenschaftler ist besonders gut darin, die Computer in manchen Räumen für seine Zwecke zu benutzen.
Infiziert
Wird man jedoch von dem Alienvirus befallen, so muss man in sein Deck Infiziert-Karten hineinmischen, die ähnlich den Blutkarten in Mage Knight das Handlungsdeck verstopfen und so weniger Aktionen pro Zug zulassen. Die bloße Anwesenheit einer Karte ist jedoch noch kein sicherer Infekt, so gibt es Karten, die den Spieler infizieren, andere jedoch sind harmlos. Das erfahren wir aber erst, wenn wir die Karten scannen dürfen/müssen.
So kann es sein, dass ich mein Spielziel erfülle, sogar bis zum Ende des Spiels überlebe, aber schlussendlich während der Endwertung dann doch noch einem Infekt erliege. Wer keine Überraschungen erleben will kann natürlich auch mittels Erster Hilfe oder Medikits schon vorher seine Karten scannen, das kann jedoch auch Gefahren bergen, sofern man bereits infiziert ist…
Regelwerk
Die Regeln von Nemesis zu lesen empfand ich als etwas anstrengend, ich musste immer wieder einmal vor und zurück blättern, um viele wichtige Dinge stehen in einer Art Kleingedrucktem unterhalb des normal großen Textes. Insgesamt hatten wir aber auch in der ersten Partie kaum Regelunklarheiten und selbst wenn konnten wir alle aufkommenden Fragen mit dem Regelwerk schnell klären. Auch die Raumübersicht ist gelungen und ist während der Runde eine große Hilfe.
Ich kann euch auch die Spielhilfe von Boardgamefan ans Herz legen. Sie ist übersichtlich und vollständig und ein prima Helfer insbesondere für die ersten Runden.
Fazit:
Nemesis zeichnet sich nicht gerade durch seine hohe Gewinnrate aus und eine gewisse Frusttoleranz sollte man unbedingt mitbringen, doch das Spielerlebnis ist unheimlich atmosphärisch und schreibt jedes Mal eine neue Geschichte. Die 3-4 Stunden, die bei uns etwa jede Partie dauerte, vergehen wie im Flug, es ist spannend, unterhaltsam und jedes Mal anders.
Mit einer anfänglich gut durchdachten Taktik, die im Laufe des Spiels durch eine ordentliche Portion Glück auf die Probe gestellt wird (und nicht selten vollständig zerschlagen wird), stellen wir uns den unterschiedlichen Gefahren auf der Nemesis. Sollten wir sie nicht bestehen, so ist der Wunsch zum erneuten Versuch meist groß und glücklicherweise der Wiederspielwert von Nemesis durch viele Variationsmöglichkeiten noch größer.
Die schönen Spielmaterialien tragen ebenfalls zum Spielspaß bei, insbesondere der Scanner, mit dem wir unsere Infiziert-Karten scannen müssen, um herauszufinden, ob wir von dem Alienvirus befallen wurden. Nemesis hat sich bei uns definitiv einen festen Platz im Regal erspielt und hat direkt unseren Nerv getroffen.
Spieler, die gerne Optimieren und an ihrer Taktik feilen und festhalten wollen, werden mit Nemesis wahrscheinlich nicht sonderlich glücklich. Es ist ein thematisches Abenteuer, das insbesondere durch die Atmosphäre, die Interaktion und erinnerungswürdige Geschichten lebt. Und nicht jede davon hat ein Happy End…
Da bereits das bloße Überleben eine manchmal aussichtslos erscheinende Herausforderung darstellt sowie die geheimen Ziele oft Ähnlichkeiten aufweisen, ist ein Zusammenschluss der Spieler trotz Ungewissheit über die Ehrlichkeit des anderen nicht selten. Eine gewisse Skepsis gegenüber der Aussagen anderer Mitspieler ist aber definitiv angebracht :)
Für uns ist Nemesis auch einmal eine willkommene Abwechslung zu den sonst so geliebten Dungeoncrawlern, bei denen wir schon zum Start des Spiels als Helden losziehen. Bei Nemesis müssen wir uns einen solchen Titel erst einmal tatkräftig verdienen.