Man nehme 5 kg Euro, 3 kg Wargame, 4 kg Thema und 3 kg Survival. Dazu eine leider ungenießbare Anleitung. Fertig ist Bee Lives. Eine tolle Mahlzeit mit kleinem Nachgeschmack.
Schlachtplatte auf der Blümchenwiese
Interaktive Euro Front, ihr habt einen neuen Gral! Und was für einen. Bee Lives mutet mit dem wunderschönen Cover wie ein liebliches, gar romantisches Spiel an. Pustekuchen! Man könnte teilweise meinen, da liegt ein Wargame im schwarzgelben Gewand auf dem Tisch. Dabei fängt es recht beschaulich und auch bekannt an. Jeder Spieler übernimmt ein Bienenvolk mit einer Königin. Mit Hilfe der Bienen erkunde ich die Umgebung, suche Honig und Pollen oder baue meinen Bienenstock aus. Soweit wäre es ein bekanntes Prinzip, was wir mechanisch mehr als genug in Form von massenweisen „Standard“-Euro Spielen kennen. Bee lives geht aber dann in eine ganz andere Richtung, und zwar in eine aggressive. Das fängt mit den „Wilden Schwärmen“ an. Diese Schwärme kommen entweder durch Eventkarten ins Spiel oder wenn ein Spieler so viele Bienen ausgebrütet hat, dass der Platz im Stock nicht mehr ausreicht. Dann verlässt die Hälfte des Schwarms den Stock und bildete einen neuen, autarken Schwarm in der Nähe. Dieser Schwarm wird fortan im Rahmen eines „Flow-Charts“ durch das Spiel gesteuert. Wilde Schwärme sind aggressiv und haben erstmal fast nix besseres vor als den nächstgelegenen Schwarm anzugreifen. Ausschwärmen kann vom Spieler gewollt sein. Jeder Schwarm, der ausschwärmt, bringt Punkte, desto früher im Spiel, desto mehr. Wenn die Schwärme nicht angreifen, dann besetzen sie wichtige Nahrungsfelder. Während wilde Schwärme am Anfang des Spiels noch keine große Bedrohung darstellen, so werden sie im Laufe des Spiels aufgrund der Anzahl und stetig wachsender Größe / Stärke immer mehr zu einer echten Gefahr. Damit nicht genug, geht die größte Gefahr doch von den Mitspielern aus. Natürlich kann man nicht nur wilde Schwärme angreifen, sondern auch den menschlichen Gegner. Und wie! Sobald im Sommer der friedliche Frühling vorbei ist, werden die erkundeten Wiesenplättchen der Spieler zusammengelegt und bilden das „Schlachtfeld“ für den Sommer und den Herbst. Angriff ist die beste Verteidigung und in diesem Spiel auch die beste Möglichkeit, an Punkte zu gelangen. Das Kampfsystem ist simpel und hat deutliche Anleihen von einem Wargame. Desto mehr Bienen ich für den Angriff nutze, desto mehr Angriffswürfel darf ich nutzen. Punkte gibt es für erfolgreiche Angriffe, bei denen auch Honig geklaut wird, aber auch für erfolgreiche Verteidigungen. Knackpunkt des ganzen Kampfsystems ist das Timing. Wann greife ich wen an? Erst einen Mitspieler? Erst einen Wilden Schwarm? Nutze ich ein Großteil meiner Arbeiterbienen, um einen Wilden Schwarm vor meiner Haustür zu beseitigen und zu punkten? Oder packe ich lieber ein paar Bienen in die Defensive, um vor Angriffen der Mitspieler geschützt zu sein? Diese Entscheidungen sind die Essenz des Spiels und machen für mich den größten Reiz aus. Es ist ein umheimlich spannendes taktisches Geplänkel, bei der ich Wilde Schwärme geschickt gegen Mitspieler einsetze, um dann selber zuzuschlagen.
Als wenn das aufgrund der Gefahren durch andere Bienen nicht schon schwer genug wäre, seine Tiere durch das Jahr zu bringen, bringen die monatlichen, zufälligen Events nochmal richtig Salz in die Suppe. Im lieben Frühling meist noch mit unterstützenden, ertragreichen Modifikatoren für die Futtersuche in der blühenden Landschaft, wird es ab Sommer manchmal richtig heiß. Heiß im wahrsten Sinnes des Wortes. Hitzewellen machen den Bienen zu schaffen. Was tut man dagegen? Kühlen! Das geht natürlich nur mit Wasser. Aber woher bekommen? Die Wasserplättchen sind arg begrenzt. Aktionen verschwenden, um Wasser zu sammeln für eine mögliche Hitzewelle? Wenn keine kommt, liegt das Wasser im Stock und blockiert Lagerplätze. Auch dieses Element des Risiko-Management fügt sich nahtlos und vor allem thematisch in das Spiel ein. Noch ein Prise Survival gefällig? Gerne, Krankheit hätte das Spiel anzubieten. Bei Futtersuche und Angriffen schleppen die Bienchen Erreger mit in den Stock. Desto höher der Krankheitslevel, desto mehr Bienen sterben in der Brutphase. Logisch und thematisch, mal wieder. Aber die Erreger sind auch für den letzten Teil des Spiels, den Winter, ein entscheidener Faktor.
Im Winter bricht das Spiel dann nochmal mit allen typischen „Ich muss in einem Euro-Brettspiel meine Arbeiter füttern am Ende der Runde“ Mechaniken, die man seit jeher kennt. Von Frühling bis Herbst wird auch ganz normal gefüttert. Dann kommt aber der Winter und der Untertitel des Spiels „We only know sommer“ wird Programm. Dort zählt nur eins, das nackte Überleben der Bienen. Ich kann nichts mehr tun und nur hoffen, dass man alles gut kalkuliert hat. In drei Versorgungsphasen hintereinander wollen die Bienen Futter und der Krankheitslevel des Stocks rafft in jeder Phase Bienen dahin. Gewinnen kann ich das Spiel nur, wenn mindestens eine Biene überlebt, ganz egal wie viele Siegpunkte ich vorher angesammelt habe.
Material und Anleitung
Das Spielmaterial ist insgesamt okay. Die Wiesenplättchen und die Holzspielsteine sind sehr gut, die Playerboards könnten dicker sein, zumal biegen sie sich leicht. Es gibt eine optionale Matte als Unterlage zu kaufen, die ich wärmstens empfehlen kann. Nicht nur dass sie wunderschön aussieht, sie ist auch praktisch für die kleinen Plättchen und bietet zudem auch wichtige Informationen für den Spielablauf.
Jetzt die Anleitung. Mit zwei Worten: großer Mist. Nach dem ersten Lesen denkt man, okay das ist ja alles einfach. Bis man es dann selber spielt und zig Fragen aufkommen. Entweder steht es nicht in der Anleitung oder es ist ungenau beschrieben. Die deutsche Anleitung hat zudem Übersetzungsfehler. Die gute Nachricht, der Autor ist sehr aktiv im Forum bei boardgamegeek. Fragen werden in kürzester Zeit beantwortet. Schade ist es trotzdem.
Fazit
Dieses Spiel trieft vor Thematik. An jeder Ecke finde ich das Thema integriert. Das hier ist kein trockener Punktesalat, das hier ist eventuell eines der thematischsten Euros auf dem Markt. Verbunden mit der hohen Interaktion und den Survival-Elementen trifft es dermaßen meinen Nerv, das es eine wahre Wonne ist. Dazu kommt das Artwork, geht es noch schöner? Geschmack und so, ich weiß. Also alles in Butter? Leider nicht. Zum absoluten Top Titel fehlt ein bisschen. Die Anleitung habe ich erwähnt, grausam. Das führt dann auch zu einer immensen Fehleranfälligkeit. Dieses Spiel ohne Fehler zu spielen, ist fast schon eine Kunst. Gerade bei mehr als zwei Spielern, passiert verdammt viel auf dem Brett. Ein weiterer Punkt ist der Worker-Placement Mechanismus. Dieser könnte für meinen Geschmack etwas komplexer sein. Im Frühling merkt man das besonders, wenn man in seinen Entscheidungen relativ limitiert ist. Das änderst sich mit der Zusammenlegung der Spielplanteile im Sommer, trotzdem ein Punkt den man verbessern könnte. Das Ganze ist Meckern auf hohem Niveau. Bee Lives ist ein ungeschliffener Diamant. Hinter dem Spiel steckt ein kleiner Ein-Mann Verlag. Ich selber kann bei so einem Hintergrund über redaktionelle Unzulänglichkeiten hinwegsehen, wenn das Spiel selber begeistert. Und das tut es. Es hebt sich wohltuend vom generischen Einheitsbrei ab und bietet dem konfrontativen Brettspieler eine wunderbare Arena um sich auszutoben. Das Thema sollte man mögen, denn ist es ist ein starker Teil des Spiels. Man sei aber gewarnt, das Spiel verzeiht kaum Fehler. Es kann sein, dass ein Spieler mehrere Monate vor Ende zwar noch mitspielt, er aber dermaßen hinten liegt, dass ein Sieg nicht mehr möglich ist. Ich mag so etwas, pusht es doch die Herausforderung. Das Spiel funktioniert in jeder Besetzung. Auch zu zweit, bietet es dort ein schönes taktisches Duell. Zu viert ist eine Menge los, das Spiel kann sich etwas ziehen und auch mal 3-4 Stunden dauern. Der Sweetspot liegt meiner neiner Meinung nach bei drei Spielern.