Ein ganzes Jahrzehnt ist vorbei. Wir befinden uns in den 20ern. Zeit zurückzublicken. Zurück zu einem Jahrzehnt, in dem ich zum Brettspieler und Blogger wurde. Zu Beginn des Jahrzehnts wurde ich erwachsen, dieses Jahr heirate ich. Wenn also bei mir so viel passiert ist, dann gilt das doch auch bestimmt für die Brettspielbranche. Blicken wir also auf ein Jahrzehnt voller Spiele, die die Spielebranche, die Szene und uns geprägt haben. Spiele die Einfluss auf weitere Entwicklungen hatten.
Die Idee für diese Liste entstammt übrigens Dominik Schönleben, welcher eine passende Diskussion auf Twitter dazu ins Leben rief. Einige Gedanken zu dieser Liste sind sicherlich auch den Diskutanten auf Twitter zu verdanken!
Tolle Spiele, teure Spiele, exotische Spiele. Diese Topliste ist einerseits eine Reise in die Vergangenheit, aber auch eine Analyse der Gegenwart und wir starten jetzt:
Platz 12: Living Card Games erobern den Markt – Android Netrunner (2012) & Der Herr der Ringe: Das Kartenspiel (2011)
In zwei aufeinanderfolgenden Jahren – 2011 und 2012 erblickten zwei Living Card Games das Licht der Welt, die beide sehr erfolgreich wurden und das Genre „LCG“ deutlich voran brachten. Das LCG hatte eine Mission: Die Trading Card Games / Collectible Card Games beerben, mit einem faireren und turniertauglicheren Modell, denn in einem Pack sind keine zufälligen, sondern fest definierte Karten.
Den Anfang machte Der Herr der Ringe: Das Kartenspiel, welches dieses Jahr, nach 9 Jahren voller Erweiterungen in eine Pause gehen soll. Dieses kooperative Kartenspiel in der Welt von Tolkien zeigte deutlich was ein LCG leisten kann. Kontinuierliches erzählen von Geschichten und verbessern von Mechaniken. Mit steigendem Alter merkte man auch den Entwicklern die steigende Erfahrung an und alle sind sich einig, das Spiel wurde von Jahr zu Jahr besser, einfallsreicher und abwechslungsreicher.
Android Netrunner baute ein Jahr später darauf auf und brachte eine beliebte Welt – Netrunner von Richard Garfield und Wizards of the Coast (Magic: The Gathering) zurück auf den Spieltisch als LCG Prinzip. Das asymetrische 2-Spieler Kartenspiel verbreitete das LCG Prinzip weiterhin und zeigte die extreme turniertauglichkeit des Prinzips. Leider wurde Android Netrunner im Jahr 2018 eingestellt.
Neben diesen beiden großen Vertretern gab es noch weitere LCGs von Fantasy Flight Games – Cthulhu, Warhammer Invasion und Warhammer 40K Conquest (alle eingestellt) sowie die aktuell noch laufenden Arkham Horror und Marvel Champions.
Platz 11: Zombicide (2012)
Zombicide steht nicht auf dieser Liste weil es spielerisch besonders innovativ war, nein, es war Alles in Allem sogar ziemlich altbacken. Es traf zwar einen Nerv und war sehr beliebt, doch es wird für etwas anderes in die Geschichte der Brettspiele eingehen: Der enorme Erfolg auf Kickstarter, das etablieren von Kickstarter als Vertriebsplattform und der Beitrag, dass Brettspiele die erfolgreichste Kategorie auf Kickstarter sind. Zombicide hats vor gemacht und Menschen wie Jamey Stegmaier haben es analyisert und perfektioniert. Aber Zombicide hat bewiesen, dass Crowdfunding ein gangbarer Weg ist. Gleichzeitig bedeutet Zombicide für mich aber auch den Beginn einer Ära voller Spiele, die mit Plastikfiguren blenden anstatt mechanisch und redaktionell ausgereift zu sein. Doch eines ist sicher: Der Einfluss von Kickstarter auf die Brettspielbranche und von Zombicide als Wegbereiter sollte heute unbestritten sein. Crowdfunding ist in unserem Hobby allgegenwärtig und bringt uns Spiele wie Gloomhaven oder Kingdom Death Monster an die vorher kein Verlag der Welt geglaubt hätte.
Platz 10: Die Legenden von Andor (2012)
Ebenfalls 2012 erschienen Die Legenden von Andor, das im selben Jahr noch Kennerspiel des Jahres wurde. Das Spiel von Michael Menzel, welches von ihm auch illustriert wurde, brachte Fantasy und Heldengeschichten auf den Küchentisch der Familien. In Vielspielerkreisen kritisiert aufgrund seines Zufalls und der zwingenden Berechnung welche Monster man tötet, wurden Familien und Nichtspieler besonders von der Welt und deren Geschichte in ihren Bann gezogen. Auch mich brachte Andor 2012 wieder aktiver zum Spielen. Gekauft hatte ich es damals im Müller. Die vielzähligen Erweiterungen und Umsetzungen in der Welt von Andor sind beweis für den kommerziellen Erfolg, den Andor sicher nicht (nur) bei den Vielspielern unseres Landes hatte.
Platz 9: Terraforming Mars (2016)
2016 erschien ein Spiel, von dem wohl keiner gedacht hätte, das es solch ein Erfolg werden würde – außer Carsten Reuter vom Schwerkraft Verlag vielleicht, denn er sorgte dafür, dass es eine deutsche Lokalisierung dieses Titels gibt. Terraforming Mars – kurz TFM – ist ein Spiel mit Licht und Schatten, einerseits tolles Bling Bling durch die Ressourcenwürfel in Bronze, Silber und Gold, andererseits recycelte Grafiken aus dem Internet und unschöne Ecken an den Ressourcenwürfeln. Doch Terraforming Mars glänzte mit der Spielmechanik. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Spiel unter Vielspielern mit dem Höhepunkt der Nominierung zum Kennerspiel des Jahres. Gefühlt konnte man ein ganzes Jahr lang kein Social Network lesen ohne ständig auf Terraforming Mars zu treffen. Ein Spiel, das besonders aufgrund des Hypes – der aber durchaus in spielerischer Qualität begründet liegt – in die Geschichte des Jahrzehnts eingeht.
Platz 8: This War of Mine (2017)
This War of Mine ist die Brettspielumsetzung eines düsteren, ja bedrückenden Computerspiels und genau diese Atmosphäre bringt das Spiel an den Spieltisch. This War of Mine lässt die Geschichte von Zivilisten in einem Bürgerkrieg, wie wir viel zu viele auf der Welt haben, miterleben ohne dabei massiv zu verharmlosen. Das Spiel ist gnadenlos und düster. Es stellt einen vor Entscheidungen, die durchaus die eigenen Moralvorstellungen tangieren. Man kann es zwar komplett Mechanisch, quasi nach dem besten Outcome spielen, aber dann vergibt man eine Chance sich in eine Geschichte ziehen zu lassen und die Immersion zu genießen. This War of Mine war meiner Meinung nach eine Offenbarung bei den sogenannten Serious Games. Spiele, die ernste Geschichten erzählen, bei denen vielleicht gar nicht der Spaß, sondern das Erleben im Vordergrund stehen – zumindest ging es mir bei This War of Mine so. Hinzu kamen eine astreine grafische Gestaltung und tolles Spielmaterial und eben ein wirklich gutes Spiel – das konnten andere Serious Games wie Das Leben des Billy Kerr nicht von sich behaupten. This War of Mine hat aber einem wichtigen Thema Tür und Tor geöffnet: Den ernsthaften Themen und diese ernsthaft zu behandeln. Das ist meiner Meinung nach wichtig, besonders wenn man Spiele als Kulturgut begreifen möchte.
Platz 7: T.I.M.E Stories
Bleiben wir bei den Spielen die Geschichten erzählen. Neben den ernsten Geschichten, haben wir auch die fantastischen Geschichten. Die bei denen man sich wegträumt, man der realen Welt entflieht. Man alles sein kann, was man möchte. Time Stories entführt uns durch die Geschichte und in fantastische Welten mit einem Spieldesign, dass dem eines Tischrollenspiels schon sehr nahe kommt, aber eben noch Brettspiel genug ist. Natürlich gibt es an dem repetitiven Ablauf einiges zu meckern und die einzelnen Erweiterungen sind sicher nicht von gleicher Qualität. Aber Time Stories zeigt wie schön es sein kann, eine Geschichte zu erleben und Geschichten, waren gerade gegen Ende des Jahrzehnts ein großes Thema bei Brettspielen und werden es sicher auch in den 20er Jahren noch sein. Leider schloß Time Stories mit dem Fall Madame eher unrühmlich ab. Hoffen wir besseres für die 20er. Danke für Time Stories und ich bin gespannt wie es mit den „blauen Fällen“ bei Time Stories weiter geht.
Platz 6: Azul (2017)
Azul, ein abstraktes Legespiel und Spiel des Jahres 2018. Beeindruckt die Spielerschaft durch sein Material und das Buzzword Haptik. So sehr dieser Begriff inflationär verwendet wurde zeigt sich doch deutlich: Spielmaterial ist relevant geworden und Teil des Spielgefühls. Azul ist ein Spiel des Jahres, wie ich es mir besser kaum vorstellen könnte. Von der Oma bis zu älteren Kindern kann es jeder mitspielen, verstehen und Spaß haben. Gleichzeitig bietet es eine taktische Tiefe und Vielfalt, dass es lange Spaß macht. Mittlerweile haben wir mit Azul 3 die dritte Inkarnation dieses Titels und auch wenn keines an den Erfolg des ersten Spiels rankommt, ist die Begeisterung ungebrochen.
Platz 5: Ganz schön Clever (2018)
Ich bin nicht groß bewandert bei den Roll & Write Spielen und es gab sicher auch schon vor Ganz schön Clever Spiele, die einen deutlichen Erfolg verzeichneten wie zum Beispiel Qwixx. Der Grund, dass ich mich für Ganz schön Clever entschieden habe ist der, dass ich selten eine solche Highscore Jagd wie bei diesem Spiel erlebt habe. Ob am Tisch, am Computer oder am mobile Device, überall wurde Ganz schön Clever hoch und runter gespielt. Absolut abstrakt, reines eintragen von Zahlen und Abkreuzen von Farben, aber mit einer Faszination die ihres gleichen sucht. Ganz schön Clever hat für mich dem Roll&Write Genre einen Schubs gegeben und die Zeit der kleinen Spiele scheint noch nicht vorbei zu sein.
Platz 4: Codenames (2015)
Was gab es Diskussionen als Codenames Spiel des Jahres wurde. Holla die Waldfee. Sowas kann man zu viert nicht spielen, wie soll das dann an Weihnachten sein, wenn Oma das dem Kind schenkt und es mit Mama und Papa gespielt werden soll. Mecker und Gezeter. Und ja, die Kritik stimmt durchaus. Aber Codenames hat eine andere Zielgruppe wie auch die Spiel des Jahres Jury begründet hat. Die Studenten-WG und alle größeren Gruppen und quasi überall außer in der 3er und 4er Konstellation von kleinen Familien funktioniert das Spiel perfekt. Ja perfekt – im superlativ. Codenames hat Wortspielen neuen Schwung eingehaucht und vielen anderen tollen Spielen den weg bereitet und noch viel wichtiger: Codenames bringt alle an einen Tisch! Immer und immer wieder. Wenige Spiele wurden in den letzten Jahren so oft gespielt wie Codenames und das absolut verdient. Auch Codenames erfuhr mittlerweile etliche Variationen und Themen-Auflagen. Wenn das kein Spiel des vergangenen Jahrzehnts ist, dann weiß ich auch nicht mehr!
Platz 3: 7 Wonders (2010)
Das Jahrzehnt wurde eingeläutet mit einem Spiel, dass einen ganzen Mechanismus massentauglich gemacht hat und auch quasi nur aus diesem Mechanismus besteht. 7 Wonders, welches Kennerspiel des Jahres 2011 wurde brachte dem Drafting als Mechanismus gehörigen Aufwind. Dazu das simultane Spiel und die Spielzahl von bis zu 7 Spielern. Es gibt bis heute nahezu kein Spiel, dass man zu siebt in der Spielzeit von ca. 30 Minuten spielen kann. Mit den Erweiterungen wird 7 Wonders komplexer, ohne wirklich anstrengend zu werden.
Platz 2: EXIT-Reihe (2016)
Millionen verkaufter Spiele. Kennerspiel des Jahres. Das ist die Erfolgsbilanz der kleinen Spiele von Inka und Markus Brand und Ralph Querfurth (Redakteur und Mitautor). EXIT hat ein neues Spiele-Genre begründet – die Escape Room Spiele und es boomt und wie. Gefühlt ist es Geschenkartikel Nr. 1 unter Brettspielern. Kleine Rätsel verpackt in einer kleinen Box. Einmal spielbar – quasi „Legacy“. Der Aufschrei ist so hoch wie der Spaß an diesen Titeln, die es mittlerweile in drei Schwierigkeitsgraden (Einsteiger, Fortgeschritten und Profis) gibt, sowie als Puzzle und Adventskalender. Ganze 16 Spiele zählt die Reihe (Stand 07.01.2020). Und viele ähnliche Spiele haben es auf den Markt geschafft. Ob Deckscape, Escape Room oder andere, alle haben ihre Liebhaber und die ganze Welt ist am rätseln und knobeln.
Platz 1: Pandemic Legacy: Season 1 (2015)
Ich geb zu, das Rennen um Platz 1 war eng. Aber für mich persönlich hat Pandemic Legacy mehr Innovation als EXIT, weil Rätsel gibt es nun Mal schon lange. Die Idee eines sich entwickelnden Spiels, bei dem Komponenten zerstört werden, dass nur 1 Mal durchspielbar ist und dabei eine packende, emotionale Geschichte erzählt, war für mich eine ganz neue Erfahrung. Nie war ein Spielerlebnis packender als bei Pandemic Legacy, welches 2017 mit Season 2 fortgeführt wurde.
Hallo Alex,
ein tolle Liste hast du da zusammengestellt. Ich kann Ihr in großen Teilen zustimmen. Hätte ich sie gemacht, hätte ich wohl 2 Titel ausgetauscht. Für mich gehören auf diese Liste noch: Orleans – die Mutter der Bag-Buliding Spiele. Wenngleich mit ein paar Schwächen ist diese Spiel noch immer top aktuell und uns um einen großartigen neuen Spielmechanismus bereichert. Mein 2. Spiel ist Hanabi. ZUm ersten mal konnte ein 6 Euro Kartenspiel Spiel des Jahres werden. Ein Beweis, welch großartige Spiele in eine ganz kleine Schachtel stecken können. Außerdem ist Hanabi spieltechnisch so besonders, das es mich heute noch genauso flasht wie damals.
Verspielte Grüßle,
Simone