Liebe auf Irrwegen
Achtung Schlafanfall! Über 785 Miniaturen! 97 Stretchgoals! 56 Addons mit noch mehr Minis! So in etwa findet man fast immer eine Kampagne auf Kickstarter. Das Spiel dahinter sucht man oft vergeblich. So ähnlich müde wurde ich auch, als ich bei Kickstarter die Kampagne zu Lords of Hellas entdeckte und ihr dann auch kaum Aufmerksamkeit schenkte. Trotzdem kam ich nach der Kickstarter-Kampagne, wohl aufgrund des Themas der griechischen Mythologie, wieder zu dem Spiel zurück. Die ersten englischen Lets Plays ließen mich aufhorchen. Immer mehr erkannte ich, wie ich mich geirrt hatte…
Die Hintergrundgeschichte von Lords of Hellas (LoH) ist, gelinde gesagt, plemplem. Zeitlich angesetzt während des Untergangs der ersten Hochkultur auf dem europäischem Festland, der mykenischen Zeit, ringen Helden mit ihren Armeen um die Vorherrschaft. Ihr Ziel: Ordnung wiederherstellen und das Chaos beseitigen. Dabei werden sie von „mysteriösen Wesen“ mit Sci-Fi Technologie unterstützt. Ahhh ja… Genug gemeckert! Der Rest ist nämlich ziemlich gut!
Der wunderschöne Spielplan ist in fünf Regionen unterteilt. Jede Region umfasst mehrere Ländereien. In den einzelnen Ländereien gibt es Städte, die für Nachschub an Truppen sorgen und auch als Verteidigung dienen, heilige Orte, an den man Tempel errichten kann und Wasserwege für den Bewegung über das Meer und die Monumente. Götterstatuen, die von den Spielern Stück für Stück errichtet werden und beeindruckend über das Spielfeld blicken.
Jeder Spieler übernimmt einen Helden aus der griechischen Mytholgie und wird im Verlauf des Spiels Ländereien erobern, Tempel errichten, Priester aussenden, um durch die Gunst der Götter stärker zu werden, Quests erledigen und zu guter Letzt Monster töten. Am Ende gewinnt der mit den meisten Punkten…nicht! Hier liegt eine ganz große Stärke des Spiels, es gibt vier verschiedene Siegbedingungen: Warlord of Hellas – zwei der fünf Regionen kontrollieren, Favored of the Gods – fünf Länder mit Tempeln kontrollieren, Monster Slayer – drei Monster töten sowie King of Kings – eine Region mit einem voll ausgebauten Monument drei Runden kontrollieren.
Spielerzug
Ein Spielerzug beginnt immer mit einer oder mehreren regulären Aktionen. Dazu gehören das Bewegen seines Helden oder seiner Armee (Hopliten). Man kann zudem mächtige Artefakte nutzen, die man während des Spiels bekommt oder Priester zu einem Göttermonument schicken, um einen der drei Charakterwerte seines Helden zu verbessern. Geschlossen wird der Zug immer mit einer „Special Action“. Mächtige Aktionen, die nach einmaligem Gebrauch erst einmal tabu sind. Unter diese Aktionen fällt unter anderem das Rekrutieren von Einheiten als auch das wichtige Tempel bauen. Mit der Jagd tötet man Monster und mit „Build Monument“ baut man die Götterstatuen. Sobald ein Spieler diese Aktion gewählt hat, werden alle genutzten speziellen Aktionen der Spieler wieder freigegeben. Zudem werden die Monster aktiviert und neue Quests und Monster erscheinen auf der Karte.
Helden
Vier Helden gibt es in der Grundbox. Jeder hat eine spezielle Eigenschaft und unterschiedliche Startboni. Es gibt drei Charakterwerte: Stärke, Führung und Schnelligkeit. Stärke bezieht sich auf die Kämpfe mit den Monstern. Je stärker, desto mehr Kampfkarten kann man benutzen. Führung beinhaltet die Fähigkeit mehrere Hopliten auf einmal zu bewegen. Schnelligkeit bezieht sich auf die Bewegungsreichweite des Helden selber. Erhöht werden diese Werte mit den Priestern, wenn sie zu den Monumenten entsandt werden.
Neben Monster bekämpfen, können Helden auch Quests für Belohnungen absolvieren. Am Kampf mit den Hopliten nehmen sie im Normalfall nicht teil.
Der Kampf
Der klassische Kampf mit den Hopliten des Spielers wird ohne Würfel ausgeführt. Es werden verdeckt Kampfkarten gespielt, die zu der Stärke der Einheiten hinzugezählt wird. Der Clou: besonders starke Kampfkarten ziehen nach dem Kampf einen Verlust der eigenen Hopliten nach sich. Zudem wird nicht bis zum letzten Mann gekämpft, sondern der Spieler mit der geringeren Stärke (Hopliten plus Kampfkarten) muss sich zurückziehen und erleidet einen zusätzlichen Verlust eines Soldaten. Dieses Kampfsystem funktioniert wunderbar und verhindert eine zu starke Dominanz von Spielern, die den Fokus auf kriegerische Handlungen setzen.
Monster
Die Monster werden am Anfang des Spiels zufällig auf dem Brett verteilt. Mit der speziellen Aktion „Hunt“ kann ein Held versuchen ein Monster zu töten. Auch hier läuft der Kampf über Karten. Jedes Monster hat verschiedene Trefferzonen mit Symbolen. Diese Symbole finden sich auch auf den Kampfkarten und müssen dann lediglich ausgespielt werden um Wunden zu erzeugen. Dann schlägt das Monster zurück und der Held muss sich mit Karten verteidigen. So geht es weiter, bis entweder der Held bzw. das Monster tot sind. Fast immer kommt es vor, dass man das Monster zunächst nicht besiegen kann. Der Held bricht ab und hinterlässt ein verwundetes Monster. Das Monster wird danach nicht geheilt! Das heißt, der nächste Held der vorbeikommt, kann die Lorbeeren ernten und das verwundete Monster töten.
Monster werden immer nach der Spezial Aktion „Monument bauen“ aktiviert. Je nach Würfelergebnis bewegen sie sich und / oder greifen die Einheiten auf dem Schlachtfeld an. Neue Monster kommen ebenfalls ins Spiel. Dabei kann es auch passieren, dass bestehende Monster sich verbessern und stärker werden. Ein großartiger Mechanismus!
Tempel / Priester
Tempel können in bestimmten Ländereien errichtet werden. Durch die Tempel gelangen die Spieler an Priester. Priester wiederum können zu den Monumenten entsandt werden, um je nach Gottheit einen von den drei Charakterwerten des Helden zu verbessern. Tempel sind zudem die Grundlage für die Siegbedingung Favored of he Gods. Durch Tempel kommen zu dem die Segen in das Spiel. Das sind permanente Boni, die in einem Mini-Draft an die Spieler verteilt werden.
Monumente
Optisch der größte Hingucker des Spiels. Es gibt drei an der Zahl. Jedes Monument hat fünf Stufen. Mit der Spezial-Aktion „Monument bauen“ können die Spieler immer eine Ausbaustufe eines Monuments bauen. Je größer das Monument, desto größer der Boni, wenn man Priester dorthin entsendet. Schafft es ein Spieler, das Land in dem ein voll ausgebautes Monument steht, für drei Runden zu kontrollieren, gewinnt er.
Quests
Quests werden wie Monster auf dem Brett verteilt und durch die Helden absolviert. Je nach Quest werden verschiedene Voraussetzungen benötigt, um die Quest zu starten. Einmal gestartet, dauert es nur ein gewisse Zeit, bis die Quests absolviert ist und der Held die Belohnung einsacken kann. Quest sind insbesondere in der frühen Phase sinnvoll. Hinterher verlieren sie an Bedeutung, zumal sie auch nicht mit den Siegbedingungen verwoben sind.
Artefakte
Artefakte sind mächtige Gegenstände, die man als Belohnung für verschiedene Dinge bekommen kann. Jedes Monster hat zum Beispiel ein spezielles Artefakt, genau wie die Monumente ebenfalls eins besitzen. Zum Beispiel kann ich mit einem Artefakt einem Monster ein Wunde zufügen, egal wo sich das Monster befindet. Erreiche ich damit ein „Killing-Blow“ hat es sich doch gelohnt…
Material und Ausblick
Lords of Hellas ist schlicht eine Augenweide. Die Miniaturen sind großartig. Die großen Monumente episch. Das Artwork ist gelungen, alles wirkt wie aus einem Guß. Das Sci-Fi Thema erkennt man nur auf den zweiten Blick, wie schon erwähnt finde ich es überflüssig. Auch der Rest, Karten und vor allem die dicken Playerboards, sind erste Sahne. Die Regeln hingegen könnten besser sein. Ein roter Faden fehlt. Schnelles Nachschlagen ist nicht wirklich möglich. Es gibt auch einen Solo-Modus, der nachträglich eingefügt wurde. Kurz gesagt, das merkt man auch. Es gibt eine Kampagne zu spielen, der Schwierigkeitsgrad ist angenehm hoch, trotzdem wirkt es im Gegensatz zu dem Hauptspiel wie ein Fremdkörper.
Ausblick: Getestet wurde die englische Retail Box mit der Terrain Erweiterung. Die Erweiterung ersetzt die Pappaufsteller der Tempel sowie die aufgedruckten Städte durch Miniaturen. Optisch eine große Verbesserung eines sowieso schon todschicken Spiels. Im Laufe des Jahre sollen unzählige Erweiterungen kommen. Besonderes Augenmerk sollte man da auf die 5-6 Spielererweiterung legen. Diese kommt mit einem zusätzlichem Spielbrett, unter anderem ist das Unterweltreich von Hades geplant. Aufgrund der kurzen Downtime, freue ich mich auf noch epischere Partien mit mehr Spielern.
Fazit
Wow, das Spiel hat mich umgehauen! Es sieht toll aus, das ist das Markenzeichen von den Miniaturenspielen. Der Unterschied zu vielen anderen da draußen ist, hier steckt ein komplexes Spiel hinter! Komplex, nicht kompliziert wohlgemerkt. Es ist verdammt viel los auf dem Brett, trotzdem fluppt es nach den ersten Runden wunderbar. Alles ist logisch und nachvollziehbar. Ich habe so viele Möglichkeiten etwas zu tun, Langeweile ist ein Fremdwort für das Spiel. Die Unterteilung der Aktionen in reguläre und spezielle funktioniert einwandfrei. Die Tatsache, dass man spezielle Aktionen nach einmaliger Nutzung erst wieder durch das Aufbauen eines Monuments verfügbar machen kann, ist ein sehr guter Kniff. Taktisch wird das Spiel dadurch deutlich anspruchsvoller. Mit das größte Plus sind die verschiedenen Siegbedingungen. In meinen 8 Partien hat sich keine der vier Siegmöglichkeiten als besonders stark hervorgehoben. Weiter noch, es war immer knapp am Ende. Ein bis zwei Runden mehr und alle anderen hätten ihre Siegbedingung erreicht. Das war für mich der Punkt zu sagen, dass dieses Spiel herausragend ist. Ein Spiel, was es trotz Asymetrie der Helden und verschiedenen Möglichkeiten zu gewinnen, schafft, die Spannung bis zum Ende aufrechtzuerhalten, ist ein Beleg für sehr gutes Spieldesign. Die Spielzeit verringert sich mit mehreren Spielen deutlich. Das erste Spiel mit drei Personen hatte noch 3 Stunden gedauert. Das dritte war unter zwei Stunden vorbei. Auch zu zweit ist das Spiel gut spielbar, besser wird es aber mit 3-4 Spielern. Zwar ist Area Control nur ein Teilbereich des Spiels, trotzdem macht dieser Teil erfahrungsgemäß mit mehr Spielern auch mehr Spaß. Trotzdem würde ich zu einer Zweispieler Partie nie nein sagen.
Das perfekte Spiel also? Nicht ganz. Als erstes ist der Solo-Modus zu nennen. Dieser wirkt unfertig und ist trotz hohem Schwierigkeitsgrad nichts für mich. Zwar spielt man in zwei Akten quasi den Film „300“ nach, jedoch fand ich ihn wenig ausbalanciert. Fairerweise gibt es im Netz viele Stimmen, die ihre Freude mit dem Solo-Modus haben. Eine andere Sache, die nicht hundertprozentig passt, sind die Quests. Am Anfang des Spiels sind sie eine gute Möglichkeit an Boni zu kommen. Im weiteren Verlauf verlieren sie an Bedeutung. Die Möglichkeit, jemanden beim Questen zu „überholen“, mag eine nette Mechanik sein, kam aber in unseren Spielen nie vor. Ich finde die Quests nicht vollends falsch in diesem Spiel, aber gegen den Rest der Elemente wirken sie nicht ganz stimmig.
Nichtsdestotrotz ist dieses Spiel grandios. Es scheint mit seinen vier unterschiedlichen Siegbedingungen wohlwollend aus der Masse heraus. Bietet Komplexität, um eventuell auch andere Spielertypen anzuziehen. Ich warte mit Begeisterung auf die Erweiterungen und bis dahin werde ich noch oft in die verdammt schicke Welt von Hellas abtauchen. Absolute Empfehlung!
Das Spiel soll im Sommer regulär bei Asmodee auf Deutsch erscheinen. Ob die ganzen Erweiterungen auch folgen werden, steht in den Sternen. Wer sicher gehen will, greift zur englischen Version. Die Text Intensität ist moderat. Großartige Englischkenntnisse braucht man nicht.
2 Kommentare