Die SPIEL 2017 hat wieder einmal Rekorde gebrochen: Rund 182.000 Besucher hatten über die vier Messetage hinweg Gelegenheit, mehr als 1200 Neuheiten von 1100 Ausstellern aus 51 Ländern zu sichten und zu spielen, und das auf einer 72.000 Quadratkilometer umfassenden Ausstellungs- und Spielfläche. Und wer sind wir daran zu zweifeln, dass die weltweit größte Messe für Gesellschaftsspiele nächstes Jahr nicht noch einmal wachsen wird?
Zum mittlerweile achten Mal betraten auch meine Frau und ich vergangene Woche die Essener Messehallen, um auf der SPIEL 2017 das Wochenende damit zu verbringen mit Fremden aus aller Herren Länder Brettspieleneuheiten zu testen. Die Messehallen erst Freitagnachmittags zum ersten Mal zu betreten (früher konnten wir leider nicht nach Essen kommen) war schon ein wenig seltsam: Die SPIEL ist bereits in vollem Gange, man selbst aber noch im Leerlauf. Doch es dauerte nur wenige Minuten, dann hatten wir die Atmosphäre aufgesaugt, der Orientierungssinn war hochgefahren und die Sinne fokussiert auf das was zählt: Spiele! Ein liebgewonnenes Gefühl von Heimat stellte sich ein – Willkommen zuhause, welchen Stand besuchen wir zuerst?
Viel Zeit hatten wir dennoch nicht, all die Neuheiten zu sichten. Und wenn man bedenkt wie lange es mitunter dauert, einen Platz an einem Tisch für ein begehrtes Spiel zu ergattern, dann bleibt umso weniger Zeit fürs Spielen. Etwas mehr als ein Duzend Neuheiten konnten wir in den zwei Tagen dann aber immerhin doch noch ausprobieren, und hier schildere ich euch ein paar unserer Eindrücke:
Dragon Castle
(Hjalmar Hach, Horrible Games)
Auf Grundlage des chinesischen Klassikers Mahjong hat der Newcommer Hjalmar Hach ein Spiel entwickelt, in dem bis zu vier Spieler mit den aus der für Mahjong typischen Auslage genommenen Steinen das eigene Tableau bestücken, um möglichst große zusammenhängende Bereiche aus Steinen gleicher Farbe zu werten und mit Schreinen zu toppen. In jeder Partie stehen allen Spielern eine vorab festgelegte Anzahl an zufällig gezogenen Sonderaktions- und wertungsmöglichkeiten zur Verfügung, welche viel Abwechslung in jede Partie bringen.
Eine schöne Weiterentwicklung dieses Klassikers mit modernem Einschlag. Hat mir gut gefallen!
Majesty
(Marc André, Hans im Glück)
Die bis zu vier Spieler kontrollieren je eine mittelalterliche Stadt, die aus sieben in einer Reihe ausgelegten Gebäudekarten besteht. Sie konkurrieren um Personenkarten, welche an passende Gebäude angelegt werden (Gastwirt zu Taverne, Wachmann in die Burg etc.) und dort auf unterschiedliche Weise Münzen punkten, deren Mehrheit nach Durchspielen des Personenkartenstapels den Sieger bestimmt. In der Auslage stehen stets sechs Personenkarten zur Verfügung – die erste in der Reihe ist kostenlos, alle weiteren müssen bezahlt werden, indem Meeple auf die davorliegenden Karten gelegt werden. Wer eine Karte ersteht, auf der Meeple liegen, kassiert diese ein, kann in seinem Arbeitslager aber nie mehr als fünf Meeple unterbringen. Ein einfacher, schnell zu spielender Mechanismus, und doch sind mitunter schwierige Entscheidungen abzuwägen, da die Konkurrenz um die Personenkarten groß ist und man stets ein Auge auf mögliche Angriffe der Gegenspieler haben muss. Wir haben gleich zwei Partien gespielt und hätten Majesty gerne mit nach Hause genommen, wäre es nicht Freitagabends bereits ausverkauft gewesen.
Meeple Circus
(Cédric Millet, Matagot)
In drei zweiminütigen Runden (Probe, Generalprobe und Aufführung) stapeln bis zu fünf Spieler in ihrer Manege Meeple, Tiere, Holzscheiben und -stäbchen, um das Publikum mit Kunststücken zu frenetischem Applaus zu bewegen. Worüber sich die Zuschauer am meisten begeistern können, das bestimmen vier ausliegende Karten, die uns verraten, für welche Figurenkonstellationen es wie viele Punkt gibt. Dazu müssen diese Konstellationen jedoch genau nachgestellt werden! Und dabei konkurrieren wir auch noch mit den anderen Spielern um die zur Verfügung stehende Ausstattung und das Personal. In der zweiten Runde kommen individuelle Figuren wie der Clown oder ein Seehund ins Spiel, die nur unter bestimmten Bedingungen punkten. Und bei der finalen Runde, in der die Spieler nicht mehr gleichzeitig, sondern nacheinander performen, simulieren spezielle Handicaps wie das Stapeln ohne Einsatz des Daumens oder Singen zur Zirkusmusik das Lampenfieber während der großen Aufführung.
Ein toller Mix aus Geschicklichkeits- und Partyspiel, in dem auch einige kleine taktische Entscheidungen gefordert werden, und das mir richtig Spaß bereitet hat! Mit dem Zirkus-Soundtrack der kostenlosen App spielt sich Meeple Circus sogar noch thematischer!
The Palace of Mad King Ludwig
(Ted Alspach, Beziér Games)
Im Nachfolger zu den Schlössern des König Ludwig bauen wir nun gemeinsam an einem Palast. Die Konkurrenz um Wohn-, Schlaf- und Esszimmer, um Keller- und Werkräume ist aber groß wie eh und je. Anstatt Geld nutzen wir Schwanentokens in fünf verschiedenen Farben als Ressource, die in Sets unterschiedlicher Farbe bei Spielende zusätzliche Punkte bringen. Die meisten Punkte machen wir aber wie üblich, indem wir versuchen den individuellen Wünschen des Königs gerecht zu werden und die meisten bzw. wenigsten Räume bestimmter Art bauen oder Schwäne bestimmter Farbe sammeln. Durch das Legen von Burggraben-Plättchen, welche nach und nach den Palast umschließen, können wir die Eingänge der von Mitspielern gebauten Räumen blockieren, so dass diese nicht mehr vervollständigt werden und somit auch keinen Bonus mehr ausschütten können. Dadurch wird dieses Spiel konfrontativer als sein Vorgänger, und da der Mechanismus des Preisefestlegens hier fehlt dürfte sich Palace vor allem für die Grübler unter uns ein wenig flotter spielen. Mir hat es ziemlich gut gefallen!
Merlin
(Stefan Feld & Michael Rieneck, Queen Games)
Der Neuling von Stefan Feld, und mit all seinen Aktionsmöglichkeiten sowie verschiedenfarbigen Holzteilen und Pappplättchen fühlt es sich auch wieder sehr nach Feld an: Als Adlige am Hofe Camelots drehen wir mit vier Aktionswürfeln unsere Tafelrunden, um über diverse verschiedene Aktionen und das Einsetzen von Gefährten Flaggen, Einflussmarker, Waren und Wappen zu sammeln, umzutauschen und für siegpunktträchtige Aufträge von unserer Hand einzulösen. Dabei bewegen wir mit dreien unserer Würfel unsere eigene Figur. Mit dem vierten, weißen Würfel bewegen wir Merlin, der von allen Spielern genutzt werden kann.
Das macht durchaus Spaß und fordert den Verstand, um bei all den verschiedenen Optionen die optimalen Entscheidungen zu treffen und den Mitspielern beim Bauen von Gebäuden auf der kleinen modularen Landkarte oder dem Erwerb neuer Aufträge zuvorzukommen. Für mich aber leider kein neues Highlight der Feld’schen Ludografie.
Indian Summer
(Uwe Rosenberg, Edition Spielwiese)
Der Nachfolger von Cottage Garden verspricht etwas anspruchsvoller zu sein als sein Vorgänger, und widmet sich thematisch dem namensgebenden, herbstlich bunten Geschehen im nordamerikanischen Indian Summer. Jeder Spieler füllt sein eigenes Tableau mit Tetrissteinartigen Laub-Plättchen, die er in seinem Rucksack sammelt, welcher aus einer allgemeinen Auslage aufgefüllt wird. Jedes Plä
ttchen hat ein Loch, das bestenfalls direkt über einem der vielen Symbole platziert wird, welche den Waldboden der Spielertableaus verzieren: Das können Eicheln sein, Blaubeeren oder Pilze, seltener sind auch Federn abgebildet. Zudem ist das Spielertableau in sechs Segmente unterteilt – sobald ich ein Segment vollständig mit Plättchen belegt habe, erhalte ich Bonusmarker der in diesem Segment durch die Löcher nicht bedeckten Symbole. Diese Marker kann ich wiederum einsetzen, um meinen Rucksack frühzeitig wieder aufzufüllen (Blaubeere), ein einzelnes Feld auf dem Tableau mit einem Eichhörnchenplättchen abzudecken (Eichel), zwei Gegnern je ein Plättchen aus dem Rucksack zu stehlen und auf meinem Tableau auszulegen (Pilze) oder einfach zwei anstatt einem Plättchen aus meinem eigenen Rucksack zu verbauen (Feder). Es gewinnt, wer als erstes seinen Waldboden vollständig mit Blättern bedeckt hat.
Indian Summer ist also ein Wettrennen, das mir an und für sich gut gefallen hat. Ein wenig stört mich jedoch die Möglichkeit, die im Laufe des Spiels gesammelten Eicheln anzusparen und das eigene Tableau im letzten Zug mit Eichhörnchen voll zu klatschen, um ein plötzliches Spielende und damit den Sieg herbeizuführen. So nett der Mechanismus, so schön das Material ist und der mit bunten Blättern belegte Waldboden auch aussieht: ein Pulk Eichhörnchen, die sich in eine Ecke drängeln, trüben diesen Eindruck leider ein wenig.
Nusfjord
(Uwe Rosenberg, Lookout Spiele)
Das neue große Strategiespiel von Uwe Rosenberg versetzt bis zu fünf Spieler ins Norwegen der 1950er, wo wir als Fischfangunternehmer um Siegpunkte konkurrieren. Sieben Runden lang versuchen wir mit je drei Arbeiterscheiben Aktionsfelder zu besetzen, mit denen wir auf unterschiedliche Weise Ressourcen (Holz, Fisch, Gold) ergattern und ausgeben, Wälder auf unserem eigenen Tableau ab-, durch- oder aufforsten, Schiffe bauen um unseren Fang zu vergrößern, Gebäude mit einmaligen oder dauerhaften Spezialfunktionen auf unser Tableau bauen (und damit Minuspunkte verdecken) und Dorfälteste auf unsere Seite bringen, die uns allein zusätzliche Aktionen gewähren. Mit dem Ablauf des Fischfangs, dem Realisieren und Aufkaufen von eigenen oder fremden Unternehmensanteilen und der Nutzung und Unterhaltung der Ältesten bringt Rosenberg ein paar neue Elemente in ein ansonsten ziemlich klassisches Rosenberg-Spiel. Das gefiel mir richtig gut, auch weil die Spielzeit mit 20 Minuten pro Spieler für ein Spiel dieser Reihe ziemlich angenehm ist! Eines meiner Highlights der SPIEL 17!
Noria
(Sophia Wagner, Edition Spielwiese)
Mit großen Erwartungen stürzten sich die Besucher dieses Jahr auf die Neuheit Noria der Newcommerin Sophia Wagner, die mit dem Wheel-Building einen innovativen und spannenden Mechanismus für dieses Expertenspiel verspricht: Das aus drei Ringen bestehende Aktionsrad können wir nämlich im Laufe des Spiels ganz individuell mit Aktionsscheiben bestücken. Und da die Ringe des Rades jede Runde unterschiedlich weit gedreht werden gilt es schon ein wenig darüber nachzusinnen, welche Aktionen ich wo platziere damit sie zum richtigen Zeitpunkt in der aktiven unteren Hälfte der Scheibe liegen und zudem einen Pfad bilden, so dass ich sie gemeinsam aktivieren kann. Mittels dieses Mechanismus versuchen wir in dieser Steampunk-artigen Welt die Politik der fliegenden Insel Noria zu beeinflussen und damit zu bestimmen, welche der vier Politikleisten, auf denen wir voranschreiten können, bei Spielende pro Stufe wie viele Punkte wert ist. Das Upgraden des Aktionsrades, das Sammeln von Ressourcen und Wissen, die Produktion von Waren sowie das Besuchen der Nachbarinseln, um Fabriken zu bauen und neue Ressourcen abbauende Flugschiffe zu erwerben – all dies dient schlussendlich dem Zweck, am Ende die meisten Punkte auf den besagten Politikleisten zu ergattern.
Tatsächlich erweisen sich die Kombination aus Wheel-Building, Leisten-Upgrade und –fortschritt als ziemlich spannend und unterhaltsam. In diesem Spiel steckt ziemlich viel Potential, welches nach der ersten (halben) Partie nur zu erahnen ist. Die Erwartungen scheinen gerechtfertigt!
Fog of Love
(Jacob Jaskov, Hush Hush Projects)
Ein sehr ungewöhnliches Spiel, in dem zwei Spieler in die Rollen eines Liebespaares schlüpfen und die Entwicklung ihrer Beziehung durch mehr oder weniger zielorientierte Mechanismen steuern. Zu Beginn werden die beiden Charaktere mit drei Eigenschaften, drei optischen Auffälligkeiten und einem Beruf ausgestattet. Traits (Eigenschaften) bestimmten die individuellen Ziele des Charakters, Features (das, was dem anderen bei der ersten Begegnung an einem aufgefallen ist) und der Beruf legen die Startwerte fest. Über mehrere Kapitel hinweg spielen die Spieler abwechselnd Szenenkarten aus, welche entweder von beiden Spielern oder nur dem Gegenüber Entscheidungen verlangen, die wiederum die Balance in den Persönlichkeitsdimensionen Disziplin, Neugier, Extroversion, Sensibilität, Freundlichkeit und Ernsthaftigkeit unserer Beziehung beeinflussen. Da sich unsere individuellen Ziele auf genau diese Balancen beziehen und die Eigenschaften der beiden Liebhaber auch entgegengesetzte Interessen mit sich bringen können, kann das Spiel darin enden, dass nur ein Spieler gewinnt, beide Spieler gewinnen oder beide verlieren. Und das mitunter unabhängig davon, ob das Paar am Ende zusammenbleibt…
Allein wegen des außergewöhnlichen Themas verdient dieses Spiel eine Erwähnung, und die Spielmechanik – so trocken sie im ersten Moment auch erscheinen mag – ist durchaus interessant und ermöglicht sehr spannende, individuelle Geschichten. Wenn man sich als Real-Life-Pärchen an dieses Spiel heranwagt muss man sich jedoch von den Aktionen im Spiel distanzieren können und darf die Entscheidungen des Gegenübers nicht auf die eigene Beziehung übertragen. Es handelt sich um ein Rollenspiel. Und ein einzigartiges, sehr interessantes noch dazu!