Solorezensionen

Solorezension: Herr der Ringe LCG

Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden,
ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden

Der Herr der Ringe – das Kartenspiel zum wohl erfolgreichsten Roman des 20. Jahrhunderts. Geschrieben von J. R. Tolkien, bildgewaltig verfilmt von Peter Jackson und schlussendlich auf die Tische der Spieler gebracht von Nate French. Die Geschichte von Frodo und seinen Gefährten, die sich aufmachten, um den Einen Ring zu vernichten, wurde bereits tausendfach erzählt. Es wäre überheblich zu glauben, dass man sie hier besser erzählen könnte. Wer wirklich noch nichts von Frodo und Gandalf gehört hat, der sollte das jetzt schnellstens nachholen oder aus dem Loch kriechen, wo er anscheinend die letzten 17 Jahre verlebt hat. Der Rest kennt die Geschichte sowieso in- und auswendig.

Allein gegen den Rest

Um das gleich vorweg zu nehmen: ich habe mich den Abenteuern rund um die Gefährten allein gestellt, sprich einhändig. In dieser Core-Box ist das auch noch ohne Probleme möglich. Sollte es irgendwann in den kommenden Erweiterungen nicht mehr möglich sein, werde ich darauf gesondert verweisen.

Herr der Ringe Spielaufbau
Spielaufbau

Die Reise beginnt …

Wir stellen eine Gruppe Helden zusammen, die von König Thranduil den Auftrag bekommt, eine Botschaft an die Herrin Galadriel in Lórien zu übermitteln. Die Reise führt uns zunächst in den Düsterwald, wo wir uns allerlei Gefahren stellen, bis wir an den Fluss Anduin gelangen. Auch dort lauert das Böse an jeder Ecke, wer hätte das gedacht! Nach einer wilden Floßfahrt und zwischenzeitlichen Unterbrechungen durch kleine Scharmützel mit Trollen oder anderen Figuranten, die gerade Gesichtskirmes feiern, kommen wir endlich in Lórien an und übermitteln der Herrin die frohe Botschaft über den bevorstehenden Kollaps des Reiches. Sie bittet uns, die nähere Umgebung Dol Goldurs zu erkundschaften, um mehr über die drohende Gefahr herauszufinden. Doch die Gefährten gelangen in einen Hinterhalt …

Das ist – kurz zusammengefasst – die Geschichte der Grundbox (3 Szenarien) und leider ist sie nicht wirklich viel länger. Während das Arkham Horror LCG jedes noch so kleine Detail ausschweifend erzählt, hält sich das Herr der Ringe LCG hier recht kurz, was manche story-orientierte Spieler gewiss in die Arme von H.P. Lovecraft getrieben hat. Mich persönlich hat’s nicht so gestört, allerdings bin ich auch eher an Mechaniken interessiert, als an ellenlangen Flufftexten. Dafür sind die Filme einfach zu episch.

Herr der Ringe Abenteuerkarte
Abenteuerkarte

Die 4 Sphären

Wer sich eine Truppe Helden zusammenstellen will, der muss sich erstmal etwas mit den vier Sphären beschäftigen. Fast alle Spielerkarten sind diesen zugeteilt (abgesehen von wenigen neutralen Karten) und ein solides Wissen darüber, wie sie funktionieren, kann euch nicht schaden, wenn ihr nicht als Mittagessen am Trollspieß landen wollt. Das heißt, solange ihr noch mit der Grundbox zu tun habt, solltet ihr wirklich auch alle vier Sphärendecks mal gespielt haben. Später wird es enorm wichtig zu wissen, wie sie funktionieren. Ganz grob gesagt (und wirklich unvollständig): Rot ist das Taktikdeck, das sich auf Kampfesstärke spezialisiert hat; Blau ist das Geistdeck, spezialisiert auf Willensstärke; Grün ist das Wissensdeck = Heiler (oder Tanks, wenn man puberal fresh wirken will); Lila ist das Führungsdeck, das sich auf die Spezialfähigkeiten der Helden konzentriert.

Jedes Sphärendeck hat Helden, Verbündete, Verstärkungen und Ereignisse. Dazu kommen noch eher spezifische neutrale Karten. Spätestens wenn ihr in den Szenarien mit den Standarddecks nicht mehr weiterkommt, geht es an den Deckbau. Doch zum Deckbau später mehr. Erstmal will ich euch erzählen, worum es überhaupt geht.

Herr der Ringe Spielablauf
Spielablauf Phasen

Wer, wie, wo, wann, was?

Der jetzt nachfolgende Teil ist arg geschrumpft und entspricht nur annähernd dem tatsächlichen Ablauf. Allein stichpunktartig nimmt er im Regelheft zwei DIN A4 Seiten ein (plus Errata und FAQ) und ist auch der Grund, warum viele Spieler das Herr der Ringe LCG für fitzelig halten. Und ja: das ist es!

Denn das Schöne an diesem Spiel ist, dass wir – ganz im Gegensatz zu anderen LCGs – fast immer alles machen können. Aktion, Reaktion, Kampf und Taktik, Kaffee trinken, Oger jagen … das alles folgt so schnell aufeinander, dass man das „wer, wie, wo, wann, was“ schon beherrschen können muss. Gerade am Anfang gestaltet sich das eher hakelig und das Regelheft ist der ständige Begleiter auf unserer Reise durch die ersten Abenteuer. Hat man das Prinzip aber erstmal verstanden, macht gerade dieses Fitzelige das Herr der Ringe LCG aus, weil es so gut wie keine Einschränkungen gibt. Über 3 Aktionspunkte, die nur in der Spielerphase genutzt werden können, kann der geübte Herr der Ringe-Spieler nur müde lächeln.

Herr der Ringe Helden
Helden Führungsdeck

Angriff ist nicht die beste Verteidigung

Mit den Ressourcen, die unsere Helden jede Runde generieren, können wir unsere Handkarten ausspielen, die entweder dauerhaft im Spielbereich liegen oder einen einmaligen Effekt haben. Dann gilt es zu überlegen, ob und wer von den werten Helden/Verbündeten sich einem Abenteuer zu stellen gedenkt. Das ist bereits die erste elementar wichtige Entscheidung, denn wer sich einem Abenteuer stellt, kann anschließend für gewöhnlich nicht mehr kämpfen (natürlich gibt es Ausnahmen, sonst wär’s ja langweilig). Das Abenteuer ist aber wichtig, weil es die Geschichte vorantreibt. Ergo kann man darüber schonmal 5 Minuten nachgrübeln, das Für und Wider abwägen oder eben einen Kaffee aufsetzen.

Anschließend erfahren wir, wer oder was uns denn überhaupt begegnet, indem wir eine (oder mehrere) Karte(n) vom Begegnungsdeck aufdecken. Das können Orte, Monster und andere Rabauken, oder auch kurzfristige Ereignisse sein. Ein Höhlentroll wäre jetzt beispielsweise nicht ganz so dolle, wenn alle Helden im Abenteuer stecken und keiner da ist, der uns verteidigen kann. Denn sobald das Abenteuer abgehandelt ist, greifen uns alle Viecher in der Aufmarschzone an, die unserem Bedrohungsgrad entsprechen (und das tun sie in den allermeisten Fällen). Ist keiner da zum Verteidigen, gibt’s auf die Mütze. Und selbst wenn wir so schlau waren, irgendeinen billigen Bogenschützen für uns über den Anduin gehen zu lassen: ja dann ist das Vieh aber immer noch da! Wir bräuchten jetzt also noch jemanden, der dem Höllengeschöpf unsererseits eine aufs Maul haut. 3 Helden, Abenteuer, Verteidigung, Angriff – merkste?

Herr der Ringe Begegnungsdeck
Begegnungsdeck

Entweder oder

Ein ganz schlauer Bruder könnte nun meinen, dass rein mathematisch gesehen 3 Helden auf 3 Phasen reichen sollten, doch weit gefehlt! Die Skills unserer Helden reichen für gewöhnlich nicht aus, um allein gegen irgendwen anzustinken. Ergo muss man sich sehr genau überlegen, wer was machen soll: gemeinsam ins Abenteuer und hoffen, dass eben kein Höhlentroll kommt? Oder darauf vertrauen, dass das Wissen eines Abenteurers reicht, um das Abenteuer zu bestehen? Ja genau! Hier hilft uns wieder das „man kann fast immer alles machen“ -Grundprinzip des Spiels. Denn nach jeder Phase kann der Spieler mit Handkarten auf die bevorstehende Heldeninsolvenz reagieren. Den Rest übernehmen die Decks. Wissen kann Wunden lecken, Führung kann Helden wieder spielbereit machen usw.

An dieser Stelle sei auch verraten, dass die ganzen Bedrohungen zwar wesentlich offener ausliegen, als beispielsweise beim Arkham Horror LCG, und man so sehr viel im voraus „errechnen“ kann, aber: selbst wenn man meint, in einem Anfall von akut auftretender Genialität endlich das perfekte Deck zusammengestellt zu haben, kann einem der Zufall beim Kartenziehen vom Begegnungsdeck immer noch einen Strich durch die Rechnung machen. Und auch, wenn man beim ersten Anlauf durch das Abenteuer nur ganz knapp gescheitert ist, kann es im zweiten Anlauf schon in der 4. Runde vorbei sein.

Herr der Ringe Höhlentroll
Höhlentroll

Der Rhosgobel-Fall

Ick freu mir grad wie bolle, dass ich einfach so durch das Szenario durchmarschiert bin, schrei schon nach Albtraumdeck, nur um dann festzustellen, dass mir leider ein klitzekleiner Rechenfehler passiert ist. Und das nur wegen lausigen 3 Punkten, die ich meiner Wissensstärke im ersten Versuch unerlaubterweise hinzugefügt hatte. Im ersten Neuanlauf stand ich dann mit meinem ach so perfekten Deck, dass mich in Fortschrittsmarkern und Ressourcen nur so ertrinken ließ, direkt vor einer Mega-Tarantel und das Thema hatte sich in 4 Runden erledigt. Da stehste dann wie Ochs vorm Berg und schreist verzweifelt nach ’nem Zwerg! Sowas passiert bei Herr der Ringe. Das steigert bei mir allerdings nur den Ehrgeiz, das Deck noch perfekter bauen zu wollen.

Perfekt ist relativ

Perfekt ist nämlich relativ. Das Deck, das im ersten Abenteuer super funktioniert hat, kann im nächsten Szenario schon keine Sonne mehr sehen. Man ist also gezwungen, sein Deck permanent umzubauen. Wer auf Deckbau keine Lust hat, kann an dieser Stelle jetzt aussteigen (nett, dass ich das erst zum Schluss hin erzähle, oder?). Deckbau ist das Kernelement vom Herr der Ringe LCG. Durch die 4 Sphären, die man beliebig kombinieren kann, ist man sehr frei in seinen Entscheidungen. Das macht es für Anfänger natürlich etwas schwieriger. Wie gesagt: man sollte ALLE Karten kennen! Man muss außerdem darauf achten, dass man die Karten auch bezahlen kann, denn die Ressourcen sind ebenfalls sphärengebunden.

Und man muss das Deck auf das Szenario anpassen. Oft spielt man ein Szenario beim ersten Mal nur durch, um zu verlieren und den Gegner auszuspionieren. Taktische Niederlage nennt man das. Dann erst wird gebaut. Ich bin immer wieder fasziniert, wie lange ich mich damit beschäftigen kann. Beim Staubsaugen, beim Abwaschen … immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich hin- und her überlege, welche Karte mir jetzt genau bei DIESEM einen Problem helfen könnte. Und ganz blöd, wenn es so eine Karte noch gar nicht gibt, weil sie erst 3 Szenarien später in Spiel kommt. Dann sucht man eine andere Lösung, um das Problem zu umgehen.

Herr der Ringe Wissensdeck
Wissensdeck

Zu wenig von allem

Da sind wir auch schon beim einzigen echten Makel des Spiels, der leider den meisten LCGs von Fantasy Flight Games gemein ist: in einem Grundspiel sind nicht ausreichend Karten enthalten, um ein anständiges Turnierdeck mit 50 Karten bauen zu können. Mindestens zwei Grundspiele müssen es schon sein und wer das Horn von Gondor dreifach im Deck haben möchte, der muss sogar ein drittes Grundspiel kaufen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Ansonsten gibt’s materialtechnisch absolut nichts auszusetzen.

[tie_index]Fazit[/tie_index]Fazit

[author title=“Ines‘ Solo Spieler Meinung“ image=“https://secure.gravatar.com/avatar/d1c01c262ce410670814c8b1b4e00fae?s=180&d=mm&r=g“]

Böse Zungen behaupten, Solospiele seien keine Spiele sondern Puzzle. Nun, das kommt ganz auf die Art und Weise an, wie man so ein Spiel betrachten möchte. Nimmt man das nächstbeste x-beliebige Eurogame und schaut sich die Mechaniken an, dann wird man schnell feststellen, dass Plättchensammeln und Ressourcenoptimieren im Prinzip nichts anderes sind: puzzeln. Man versucht das, was man bekommt, irgendwie in die richtige Reihenfolge zu bekommen, um den Siegbedingungen näher zu kommen. Und es ist doch wirklich völlig wumpe, ob man jetzt Siegpunkte sammelt oder ein Szenarienziel erreicht, indem man beispielsweise Monster schnetzelt.

Ohne Frage: Herr der Ringe IST ein Puzzle. Und ja, es ist auch fitzelig, weil man einfach fast immer alles machen kann und deswegen viel rechnet, auch wenn man weiß, dass man sich gerade regelkonform verhält. Das WANN ist einfach absolut spielbestimmend. Würde man das aber einem (hier x-beliebiges Eurogame einsetzen) vorwerfen? Dass man versucht, seine Karten zum richtigen Zeitpunkt auszuspielen? Da käme doch niemand auch nur in Versuchung!

Herr der Ringe Taktikdeck
Taktikdeck

Freiheit

Dieses enge Korsett eines Arkham Horror steht mir einfach nicht. Wenn ich ’ne coole Kombo auf der Hand habe, dann will ich sie verdammt nochmal auch spielen! Und wenn mich jemand daran hindert, dann bitteschön allenfalls ich selbst, weil ich mit meinen Ressourcen nicht ordentlich gewirtschaftet habe. Da hat mir niemand reinzufunken – auch nicht der Spieldesigner! Ein bisschen neidisch bin ich natürlich schon auf die Typen in Arkham, weil die die besseren Kampagnen haben. Herr der Ringe ist mechanischer und es geht ums Gewinnen. Punkt. Ein Zwerg nimmt eben keine Wunden mit ins nächste Abenteuer und die ollen Langohren aus Bruchtal heilen sich unterwegs selbst.

Dafür rennen wir aber nicht wie blöde von Ort zu Ort und suchen den heiligen Gral/Portal/Schlüssel/irgendwas sonstwie Geheimnisvolles. Bei uns passt sich die Mechanik tatsächlich jeder (noch so knappen) Story an und das musste auch erstmal können.

Spoiler
Im Abenteuer „Die Reise den Anduin hinab“ können die Monster in der Aufmarschzone dich zum Beispiel nicht angreifen, solange du auf dem Floß bist. Dafür sammeln sie sich dann und du stehst, wenn du dein Ziel erreichst, möglicherweise vor einer ganzen Horde Trolle, was jetzt auch nicht unbedingt sooo ist.

Wer noch etwas mehr über die Unterschiede zwischen dem Herr der Ringe LCG und dem Arkham Horror LCG erfahren möchte, findet hier zusätzliche Informationen.

Um es also auf den Punkt zu bringen: was gefällt mir am Herr der Ringe LCG? Neben der Freiheit, fast immer alles machen zu können, eben das Mechanische, meinetwegen nennt es puzzeln oder optimieren … Außerdem ist man permanent beschäftigt und man hat fortwährend Entscheidungen zu treffen. Trotzdem ist es einigermaßen vorhersehbar und man steht in den meisten Fällen nicht völlig überraschend vor dem übermächtigen Oger. Da kann man wenigstens noch lustvoll in den Tod rennen. Auch abseits des Geschehens ist man mit dem Spiel beschäftigt und sei es auch nur, weil man während der Lieblingsserie die Karten sleevt (Standardgröße). Wem das Standardspiel zu einfach wird, der kann auf die Albtraumdecks zurückgreifen – mit stärkeren Gegnern und überhaupt. Der Name ist Programm. Für mich das absolute Highlight des Genres.[taq_review][/author]

 

Ines B.

Howdy da draußen. Ich spiele fast alles. Am liebsten mit Miniaturen und/oder vielen Karten: Tabletop, LCGs, Partyspiele, Ameritrash ... Feldsalat mag ich grundsätzlich nicht, aber als Kolonist hat man mich auch schon gesehen. Thematisch bin ich meistens in Arkham unterwegs oder mache den Westen unsicher. Hin und wieder reise ich auch mal nach Gondor, wenn Gegner in Malifaux gerade aus sind.

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