Das mit dem Interpretieren ist ja generell so ’ne Sache. Gerade läuft da wieder eine nette Diskussion auf den virtuellen Kanälen der Brettspielwelt. Da tippt man sich als Schreiberling die Finger wund, um seinen Eindruck möglichst detailgetreu wiederzugeben, und dann interpretiert irgendjemand 5/10 Punkte in eine 7/10 Punkte-Rezension, nur weil Venus im Vollmond steht und die Chinetzen grad das Jahr des Hundes feiern. *seufz
Vor überspannten Spannungsbögen brauchen wir in Hogwarts Battle jedenfalls keine Angst zu haben. Etwas außergewöhnlich an diesem Spiel ist aber der stetig steigende Schwierigkeitsgrad. Die Designer haben das Spiel so ausgelegt, dass völlige Neulinge auf dem Gebiet des Deckbaus erstmal sanft in die Mechaniken eingearbeitet werden, während Deckbau-Profis sofort mit dem schwierigeren Spiel starten können. Selbige weist man deshalb bereits zu Beginn an, doch bitte die Kapitel 1 und 2 zu überspringen, während man mit Spiel 3 fortfährt. Für meinen Geschmack hätte man sogar sagen können „Bitte fangt mit Spiel 5 an“, aber 4 von 7 Kapiteln nicht zu spielen, wäre dann wohl doch etwas zu vermessen gewesen. Ich hab übrigens nicht darauf gehört, schließlich hab ich dafür bezahlt …
Über sieben Brücken musst du geh’n …
Hogwarts Battle ist in 7 Kapitel (7 Schuljahre) unterteilt und das jeweilige Material dazu befindet sich in verschlossenen Schächtelchen. Mit jeder Schachtel kommen neue Regeln und neues Material hinzu. Von der Komplexität her befindet sich Hogwarts Battle ungefähr auf einer Stufe mit Rune Age oder Ascension. Es gibt 4 Ressourcen (Lebenspunkte, Blitze, Totenköpfe und Münzen), die wir im Verlauf des Spiels gegeneinander austauschen. Der Rundenablauf ist dabei immer gleich:
- Ereignis(se) aufdecken und abhandeln
- Gegner abhandeln
- Aktionsphase
- Erhaltene Ressourcen verteilen, Hogwartskarten kaufen, Karten nachziehen
Ereignisse, Karten und Gegner beziehen sich dabei immer auf die 4 Ressourcen. Gegner und Ereignisse geben Mali, dazugekaufte Karten Boni. Beispiel:
Ich decke ein Ereignis auf, das mich 1 Lebenspunkt kostet und mich auffordert eine Handkarte abzuwerfen, falls ich einen Verbündeten auf der Hand habe. Anschließend kostet mich der Totesser nochmal 2 Lebenspunkte und der Drecksack Lucius Malfoy besagt, dass ich jedes Mal einen Blitz von einem Gegner wegnehmen muss, sobald ich einen Totenkopf auf die Location lege. Hübsch blöd das. Mit den restlichen 4 Handkarten kann ich dann versuchen, die Gegner wegzurationalisieren oder Karten zu kaufen. Sprich ich spiele alle Karten aus, sammle die Ressourcen (Token) „Blitze und Münzen“ ein und verteile sie dann auf die Gegner, beziehungsweise gebe sie in der Winkelgasse für neue Handkarten aus.
Lernhilfen
Was man sich bei anderen Deckbuildern im Kopf merken muss, wird hier einfach über Token gelöst. Sehr einsteigerfreundlich! Mit den Blitzen versucht man die Gegner umzuhauen, indem man ihre Lebenspunktezahl auf Null bringt. Was die Gegner schon umbringt, macht uns allerdings nur härter: während die Schurken nämlich aus dem Spiel ausscheiden, werden wir allenfalls betäubt, wenn unsere Lebenspunkte auf Null sinken. Und das heißt nichts weiter, als dass wir die Hälfte unserer Handkarten (abgerundet, also meistens 2) abwerfen, einen Totenkopf auf die Location legen und dann einfach weiterspielen. Die Lebenspunkte werden anschließend wieder auf 10 hochgesetzt. SEHR einsteigerfreundlich!
Die einzige echte Möglichkeit, das Spiel zu verlieren, besteht tatsächlich darin, dass zu viele Totenköpfe auf die Location gelegt werden. Ist eine Locationkarte voll, wird die nächste aufgedeckt (was das Spiel übrigens dann schwieriger macht, weil ab dem Zeitpunkt meistens mehrere Eventkarten aufgedeckt werden müssen) und wenn alle Locations von den Gegner eingenommen wurden, hat man das Battle verloren. Ich habs aber bislang nur 1x geschafft, dass überhaupt eine Location voll war. Ziel ist es ansonsten, alle Gegner wegzukloppen. Kann man sich merken.
Grafiksalat
Die Amis können vieles, aber eins können sie nicht: Karten! Keine Ahnung, warum zum Geier die das nicht hinkriegen. Das hat mich schon so oft aufgeregt. Nicht nur dass die Karten wesentlich schneller verknicken, nein! Manche sind glatt, manche total rau … das ist haptisch wahrlich kein Vergnügen für meine kartengeschulten Hände. Und dieses kratzige Geräusch beim Mischen durch die raue Oberfläche … *brrr.
Ansonsten ist das Material aber qualitativ völlig in Ordnung. Jeder andere Verlag hätte wahrscheinlich kleine Holzwürfelchen in die Schachtel gelegt, um die Totenköpfe darzustellen. USAopoly gönnt uns richtig schwere, metallene Totenkopfmarker, richtig geil. Für ’nen anständigen Grafiker hat’s dann aber leider nicht mehr gereicht. Hätte man jetzt einfach hochwertige Fotos von den Protagonisten genommen, wäre es vielleicht noch ok gewesen, aber USAopoly scheint die Bilder direkt vom TV abfotografiert zu haben. Einige Bilder sind so verschwommen, dass sich mir echt der Magen umdreht. Ich mag Fotos in Spielen generell nicht, aber dann noch unscharf … das geht mal gar nicht. Passend dazu sind die restlichen Grafiken auf den Karten dann recht lieblos gemacht und von eher einfacher Natur. Punkte gibt’s in der Kategorie Grafik lediglich für die wundervolle Schachtel (ein Koffer) und den Spielplan.
Verschenktes Potenzial
Vielleicht bin ich ja schon zu verwöhnt von Fantasy Flight Games. Das betrifft neben Karten vor allem den Fluff-Text: Es gibt schlichtweg keinen! Ey sorry? Ein Harry Potter Spiel OHNE Fluff-Text? Da hätte man sich doch noch nichtmal einen ausdenken müssen, J. K. Rowling hat doch bereits die gesamte Arbeit im Vorfeld erledigt. Und wenn man dann schon ein Spiel in 7 Kapitel/Schuljahre auf geheime Schachteln aufteilt, hätte ich erwartet, dass man die Gegner und Eventkarten zumindest ETWAS mit der Geschichte aus den Büchern aufpeppt oder besser noch: dass es unterschiedliche Missionsziele gibt. Hier wurde wirklich SEHR viel Potenzial verschenkt, dabei wäre es so einfach gewesen. Legendary Encounters Alien zeigt, wie es besser geht.
Ich persönlich finde das ziemlich schade, denn Hogwarts Battle ist ansonsten ein astreines Türöffnerspiel. Ja ich weiß, man soll keine Empfehlungen geben, wem es gefallen KÖNNTE, und Pipapo, aber in diesem Fall bin ich mir zu 100% sicher, dass es passt. Dieser langsam sich steigernde Schwierigkeitsgrad ist wirklich perfekt für Einsteiger geeignet und das Thema „Harry Potter“ ist auch noch nicht so ausgelutscht, wie etwa Zombies oder der Cthulu-Mythos. Außerdem überfordert es Neulinge nicht mit Massen von symbiosierenden Kartenfähigkeiten. Die Karten beziehen sich immer auf die 4 Grundressourcen.
4 Ressourcen sollst du tauschen …
Leider damit auch ein Nachteil für Deckbau-Veteranen: ewig dieselben 4 Ressourcen tauschen, ohne dabei wirklich draufgehen zu können, ist für Profis dann auf Dauer eher semi-spannend. Im Prinzip wird das Spiel von Kapitel zu Kapitel nur länger, weil die neuen Karten (fast) immer dazu gemischt werden. Vor allem das letzte Spiel kann sich in der Endphase seeeeehr lang hinziehen.
Die Mischung macht’s
Kartenmischen ist übrigens spätestens ab Spiel 5 kein Spaß mehr. Der riesige Hogwarts-Kartenstapel kann nur noch getrennt gemischt werden. Wer die Karten sleeven will, kann dann 2 Stapel bauen. Die liegen nämlich garantiert gesleevt nicht mehr aufeinander. Apropos Hogwartskarten: es kann vorkommen, dass man nicht vorwärts kommt, weil auf dem Markt nur sehr teure Karten ausliegen, die man sich anfangs noch nicht leisten kann. Es gibt dazu eine zusätzliche Regel (die erst im Regelheft der Erweiterung steht), dass man 1x pro Spiel die komplette Auslage leeren und neu bestücken darf.
Ich vermisse bei Hogwarts Battle jedenfalls das Kombinieren der Karten. Gerade das ist ja das Fesselnde an Deckbauern: wenn man sich nach etlichen Runden endlich eine schöne Killerkombo zusammengebastelt hat. Bei Hogwarts Battle werden die Karten halt stärker und man muss nur zusehen, dass man immer hübsch Karten nachziehen darf, um einen möglichst hohen Schadensoutput zu haben. Keine Ahnung, ob man Neulingen sowas nicht zutraut? Meiner bescheidenen Meinung nach wäre das etwas gewesen, was man spätestens ab Spiel 6 und 7 ruhig mit hätte einbauen können. Die Möglichkeit wäre ja durchaus gegeben, dadurch dass die Hogwartskarten in Verbündete, Zauber und Gegenstände unterteilt sind. Es wäre ein Leichtes gewesen, daraus viel mehr Symbiosen zu zaubern, wie etwa die von Ron Weasley „Du bekommst so viele Blitze, wie du Verbündete gespielt hast“. Zack hatte ich einen Schadensoutput von 9. Übrigens die einzig nette Kombo, die ich gefunden habe.
[author title=“Ines‘ Solo Spieler Meinung“ image=“https://secure.gravatar.com/avatar/d1c01c262ce410670814c8b1b4e00fae?s=180&d=mm&r=g“]
Den Hype um Hogwarts Battle (7,6 Punkte auf der Boardgamegeek’schen Richterskala) kann ich – bei aller Liebe zu den Romanen – nicht nachvollziehen. Hin und wieder ’ne Runde wäre für mich ok. Vielleicht wenn man gerade die Filme geschaut oder die Bücher gelesen hat. Ansonsten dauert es mir in den höheren Leveln viel zu lange für den sich stetig wiederholenden Spielablauf (Endspiel 1,5h mit 2 Charakteren) und in den unteren Leveln ist es (mir persönlich) schlichtweg zu einfach. Blitze und Münzen sammeln und verteilen, Karten kaufen. Blitze und Münzen sammeln und verteilen, Karten kaufen … Das ist für mich Mittelmaß.
Dabei hätte ich das Spiel allein wegen des Themas nur allzu gerne geliebt. Genau genommen bin ich nämlich auch ein kleines Potter-Fangirl, aber irgendwo hört die Liebe nunmal auf. Laut Augenzeugenberichten soll die Monsterbox noch etwas Abwechslung mit sich bringen und es soll dann auch endlich möglich sein, seine Kartenhand zu bereinigen. Leider verspüre ich in Gegenwart von einem eben eingetrudelten Aeon’s End wenig Lust, selbige jetzt sofort noch auszuprobieren. Die Gier nach Frischfleisch obsiegt!
[/author][taq_review]Anm.: Gespielt mit 2 Charakteren